Die Kreuzzüge
Versammlung ein, in der dem Grafen offiziell alle Anteile an den Einkünften aus dem Königreich Jerusalem, die man ihm im Sommer 1191 zugestanden hatte, abgesprochen wurden. In Wahrheit handelte es sich dabei um kaum mehr als eine leere Geste. Konrad hatte zwei entscheidende Vorteile: zum einen ein uneinnehmbares Machtzentrum in Tyros, zum anderen die ständig wachsende Unterstützung durch die dauerhaft in Outremer lebenden fränkischen Barone, wie etwa Balian von Ibelin. Der Graf war möglicherweise ein doppelzüngiger Opportunist, der auch durchaus bereit war, mit Saladin über Dinge zu verhandeln, die gegen die Interessen des Kreuzzugs gerichtet waren, aber durch seine Gemahlin Isabella von Jerusalem hatte er einen Anspruch auf den Thron. Außerdem hatte er überzeugendere Führungsqualitäten bewiesen als Guido von Lusignan, sein Rivale um die Krone von Jerusalem, [529] und im Unterschied zu Richard war er ganz offenbar bereit, auf Dauer in der Levante zu bleiben. In jenem Februar wollte Richard das Offensichtliche noch nicht wahrhaben, doch irgendwann musste er sich der unbequemen Realität stellen: Konrad konnte weder bezwungen noch zum Umdenken überredet werden, es war also auf Dauer unumgänglich, ihn in jede politische und militärische Ordnung im Vorderen Orient einzubinden, wenn diese einigermaßen stabil sein sollte.
In dieser Zeit kam es zwischen Richard und Saladin auch wieder zu Verhandlungen. Der Sultan ließ sich wie zuvor durch seinen Bruder al-Adil vertreten, und für den König sprach Humfried von Toron. Ende März fanden in der Nähe von Akkon Gespräche statt, und irgendwann sah es ganz so aus, als hätte man sich in einigen Punkten (darunter die Teilung Jerusalems) tatsächlich einigen können. Anfang April jedoch brach Richard die Gespräche ab und begab sich zu Schiff in Richtung Süden, um das Osterfest in Askalon zu feiern. Der Grund für diesen plötzlichen Kurswechsel bleibt unklar, doch wahrscheinlich waren dem König Gerüchte zu Ohren gekommen, dass es in Saladins erschöpftem Heer Anzeichen von Meuterei gegeben habe und dass der Sultan außerdem in Mesopotamien mit einem Aufstand konfrontiert war. Als Richard von dieser Schwächung des Gegners erfuhr, gelangte er wohl zu der Überzeugung, dass er es nun nicht mehr nötig hatte, andere Bedingungen als die für ihn günstigsten zu akzeptieren. Zurück in Askalon, begann er mit den Vorbereitungen für eine neue Offensive.
KRISE UND VERWANDLUNG
Am 15. April 1192 traf aus England Robert, der Prior von Hereford, zu Schiff in Askalon ein. Er brachte Neuigkeiten, die sämtliche Pläne Richards umwarfen. Der Berater und Repräsentant des Königs, Wilhelm von Longchamp, war vom Prinzen Johann des Landes verwiesen worden, und nun setzte Richards ehrgeiziger jüngerer Bruder alles daran, seine eigene Macht im Königreich auszudehnen. Nach zehn Monaten, die Richard als Kreuzfahrer im Heiligen Land verbracht hatte, bedeutete diese Botschaft eine nachdrückliche Erinnerung an seine Pflichten als Herrscher über das angevinische Reich. Er erkannte sofort, dass er es sich nicht leisten konnte, in der Levante zu bleiben, während sich in [530] Europa eine derart bedrohliche Krise abzeichnete; doch genauso wenig wollte er den Kreuzzug einfach aufgeben und als Versager nach Hause zurückkehren. Offensichtlich kam er zu dem Schluss, dass er noch für eine weitere Kampfsaison im Dienst des Kreuzes bleiben konnte. Um allerdings den Krieg in Palästina zu einem schnellen, erfolgreichen Ende zu bringen, musste er die über das ganze Heilige Land verstreuten lateinischen Truppen zusammenführen.
Ein Kompromiss musste gefunden werden, und daher berief der König am 16. April eine Ratsversammlung der Kreuzfahrerbarone ein. Er kündigte an, er müsse angesichts der Ereignisse in England bald abreisen, und wies die Versammelten an, zu entscheiden, wer in Jerusalem König sein solle. Das einhellige Votum, das sicher auch Richards stillschweigende Zustimmung hatte, lautete: Konrad von Montferrat solle die Krone erhalten. Guido von Lusignan wurde für seinen Statusverlust reichlich entschädigt: Richard bewog die Templer, Zypern zum Preis von 40 000 Bezant an Guido zu verkaufen, wodurch das Haus Lusignan eine mächtige und dauerhafte Herrschaft im östlichen Mittelmeer etablieren konnte. Heinrich von Champagne wurde nach Tyros entsandt, er sollte den Grafen von seiner unerwarteten Beförderung in Kenntnis setzen und, was wichtiger war, ihn überreden, seine
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