Die Kreuzzüge
angevinischen Streitkräften Richards. In Anbetracht der jüngsten Geschichte dieser Allianz bestand auch durchaus Hoffnung, dass die beiden gut miteinander auskamen.
Im Mai 1192 verstärkte Richard seinen Stützpunkt in Südpalästina, indem er die Festung Darum eroberte; gleichzeitig näherte sich die Arbeit am Wiederaufbau der Festungsanlagen von Askalon ihrem Ende, und Graf Heinrich und Herzog Hugo versammelten Truppen im Norden. Die Kampfmoral der Christen war offenbar wiederhergestellt, und alles schien denkbar gut vorbereitet für den Beginn einer neuen, gemeinsamen Kampagne – obwohl angesichts der jüngsten Vorstöße Richards entlang der Küste nach Süden in Richtung Ägypten das Ziel einer etwaigen Unternehmung durchaus noch nicht feststand.
Am 29. Mai jedoch traf ein weiterer angevinischer Bote aus Europa ein, und die Neuigkeiten bestätigten die schlimmsten Befürchtungen des Königs. Seit sein Rivale Philipp II. August von Frankreich im Sommer 1191 den Kreuzzug verlassen hatte, war Richard ständig in Sorge gewesen, dass die Kapetinger versuchen könnten, während seiner Abwesenheit angevinisches Territorium zu bedrohen. Nun erfuhr er, dass Philipp August Verbindungen zu Richards Bruder Johann aufgenommen hatte und dass sie sich gegen Richards Thronansprüche verschworen hatten. Der Bote warnte: Falls nicht etwas unternommen würde, »um diesen entsetzlichen Verrat [zurückzudrängen], bestand die Gefahr, dass England [533] sehr bald der Herrschaft von König Richard entrissen würde«. Es heißt, dieser sei »bestürzt« gewesen, »als er die Neuigkeiten erfuhr, danach saß er lange Zeit still, bedachte die Dinge bei sich und erwog, was nun zu tun sei«. Im April hatte er beschlossen, im Heiligen Land zu bleiben, doch im Licht der jüngsten Ereignisse im Westen erschien diese Entscheidung nun problematisch. Ambroise berichtet, Richard sei »melancholisch, niedergeschlagen und traurig« gewesen, und »seine Gedanken verwirrt«. 14 Der große Krieger der Christenheit war an einer kritischen Wegscheide angelangt – sollte er als Kreuzfahrer kämpfen, oder sollte er dem Ruf in sein angevinisches Reich folgen und als König in seine Heimat zurückkehren?
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[534] SCHWERE ENTSCHEIDUNGEN
I m Frühsommer 1192 begann Saladin seine Truppen wieder zu sammeln und bereitete die muslimische Welt auf eine neue Offensive der Christen vor. Im Jahr zuvor hatte der Sultan mit zahlreichen erschütternden Niederlagen fertigwerden müssen. In ohnmächtiger Erniedrigung war er am 12. Juli 1191 Zeuge der Einnahme Akkons gewesen, anschließend, am 20. August, traf ihn der Schock des kaltblütigen Massakers an der muslimischen Garnison der Stadt durch König Richard. Sodann scheiterten alle Versuche, Richards Vormarsch auf Jaffa aufzuhalten, und am 7. September wurden Saladins Truppen bei Arsuf vom Schlachtfeld gefegt. Saladin sah sich gezwungen, seine Strategie zu überdenken; er ging in die Defensive und zerstörte die Festungen in Südpalästina, um den mühsamen Vormarsch der Kreuzfahrer ins Landesinnere zu erschweren, aber am Ende musste er sich – um den 12. Dezember herum – hinter die Mauern Jerusalems zurückziehen und dort den Angriff der Kreuzfahrer abwarten.
Seit seinen glanzvollen Siegen bei Hattin und Jerusalem im Jahr 1187 war Saladin seinem Engagement für den Dschihad treu geblieben – möglicherweise hatte sich seine Hingabe sogar vertieft. Trotzdem musste er die Initiative allmählich an die Franken abgeben. Geschwächt durch Krankheit, gelähmt durch die sinkende Kampfmoral und physische Erschöpfung seiner Truppen und abgelenkt durch anderweitige Probleme in seinem ajjubidischen Reich – eine Niederlage des Sultans schien zunehmend unausweichlich. Dann aber, als sich am 12. Januar 1192 die Kreuzfahrer von Beit Nuba zurückzogen, kam unter den Muslimen neue Hoffnung auf, und Saladin ergriff die unerwartete Chance der Erholung und Neuorientierung.
[535] DIE AJJUBIDISCHE STRATEGIE ANFANG 1192
Nachdem Saladin den Vormarsch der Christen auf Jerusalem unbeschadet hinter sich gebracht hatte, überdachte er in den ersten Monaten des Jahres 1192 seine Lage. Das Reich der Ajjubiden befand sich in einem besorgniserregend zerrütteten Zustand. Jahrelang war die Verwaltung der Staatskasse vernachlässigt worden, das Budget des Sultans war nun gefährlich überzogen, und ohne einen sofortigen Geldnachschub konnte der Sultan kaum mehr seine Truppen und die für die Kriegsführung notwendigen Hilfsgüter
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