Die Kreuzzüge
Nachfolger durchaus nicht garantiert – vielmehr war nicht auszuschließen, dass sich die Mamluken dann die Frage stellten, ob sie nicht lieber befehlen als folgen wollten.
Zunächst einmal blieb die Balance jedoch stabil. Al-Salih überlebte den Sommer und Herbst des Jahres 1249 und schuf sich bei der Festungsstadt Mansourah eine gut geschützte Operationsbasis – denselben Ort hatten seine ajjubidischen Vorgänger zur Zeit des fünften Kreuzzugs gewählt. Der muslimische Feind hatte sich in einer stabilen Verteidigungsstellung verschanzt, und seine Truppen waren verstärkt durch die Anwesenheit der Bahrijja; Ludwigs Kreuzfahrer mussten also im Unterschied zu der Situation in Damiette mit wesentlich hartnäckigerem Widerstand rechnen, wenn sie es wagten, am Nilufer weiter südwärts vorzurücken. 9
DIE EROBERUNG ÄGYPTENS
Auf die Einnahme Damiettes durch die Franken folgte auf Ludwigs Seite eine weitere Phase vorsichtigen Zuwartens. Der König hatte nicht die Absicht, Damiette als Verhandlungsmasse zu benutzen, um für Palästina territoriale Zugeständnisse zu erwirken – sein Ziel war vielmehr die vollständige Eroberung des ajjubidischen Ägyptens; wenn der muslimische [634] Widerstand dann zerschlagen war, wollte er ostwärts nach Jerusalem ziehen. Diese Strategie brachte es mit sich, dass der Kreuzzug sich irgendwann einmal ins Landesinnere hinein bewegen musste. Der König kannte offenbar die Schwierigkeiten, mit denen Kardinal Pelagius und Johann von Brienne 28 Jahre zuvor zu kämpfen hatten, und einige christliche Zeitzeugen, die 1249 in Damiette dabei gewesen waren, beziehen sich ausdrücklich auf die Rückschläge, die den fünften Kreuzzug damals getroffen hatten. Jedenfalls versuchte Ludwig nicht, da die Überflutung des Nils bevorstand, sofort in den Süden vorzustoßen. Stattdessen wartete die Expedition das Ende des Sommers ab.
In diesen Monaten erörterten der König und seine Berater den nächsten Schritt. Man erwog Alexandria als mögliches Ziel, aber Robert von Artois, einer der Brüder des Königs, riet offenbar, sich direkt in südliche Richtung zu bewegen: Man müsse, »wenn man die Schlange töten will, als Erstes ihren Kopf zerschmettern«. Da al-Salihs ajjubidisches Heer nun bei Mansourah stationiert war, musste Ludwigs Heer sich auf eine ähnliche strategische Aufgabe gefasst machen wie zuvor die Truppen des Kardinals Pelagius. Allerdings schienen die Ereignisse bei Damiette darauf hinzuweisen, dass die muslimische Seite geschwächt war, und wenn man auf dem Nil militärisch erfolgreich war, dann hätten die Gewinne spektakulär ausfallen müssen. Ein muslimischer Chronist war sich über diese Gefahr im Klaren, als er schrieb: »Wenn das [ajjubidische] Heer bei Mansourah auch nur ein kleines Stück zurückweichen muss, dann wird ganz Ägypten binnen kurzem erobert sein.« 10
Um den 20. Oktober 1249, als das Hochwasser zurückging, begannen Ludwigs Truppen ihren Vormarsch am Ostufer des Nils entlang. Im Vergleich zu Pelagius hatte der König eine bessere, wenn auch nicht völlig zutreffende Vorstellung von der Geographie des Nildeltas sowie von den Schwierigkeiten, die auf die Kreuzfahrer warteten. Er folgte dem Flussverlauf in Richtung Süden und marschierte in Sichtweite zu einer Flotte »vieler großer und kleiner Schiffe, die mit Nahrungsmitteln, Waffen, Kriegsmaschinen, Rüstungen und all dem anderen beladen waren, was man im Krieg braucht«. Es ging nur langsam voran, was teilweise daran lag, dass ihnen aus dem Süden scharfer Wind entgegenwehte, der das Navigieren gegen die Strömung erschwerte, doch wurden einige Angriffsversuche der Ajjubiden ohne größere Schwierigkeiten zurückgeschlagen, und unaufhaltsam näherten sich die Christen der Festung Mansourah.
[635] Während einer der letzten Etappen der Reise muss Ludwig – wie Pelagius vor ihm – die Stelle passiert haben, wo der Mahalla-Kanal in den Nil mündete, doch findet diese entscheidende Wasserstraße in keinem einzigen Bericht über den Vormarsch der Christen Erwähnung, und es hat ganz den Anschein, als hätten die Franken nichts unternommen, um den Kanal zu blockieren oder zu überwachen. Bedenkt man, welch entscheidende Rolle der Kanal 1221 gespielt hatte, scheint dies auf den ersten Blick eine tollkühne Unterlassung gewesen zu sein. Allerdings haben wohl weder Ludwig und seine Zeitgenossen noch auch die Teilnehmer des fünften Kreuzzugs je ganz verstanden, wie es al-Kamil gelungen war, seine Flotte
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