Die Kreuzzüge
Gefangenen wurden in Lagern im Bereich des Nildeltas zusammengetrieben und nach Ansehen und Besitz aufgeteilt. Eine arabische Quelle gibt an, dass Turanshah »befahl, die Masse der Gemeinen zu köpfen«; ein Hauptmann aus dem Irak erhielt den Befehl, die Exekutionen zu überwachen – diese grauenhafte Aktion wurde offenbar mit einer Hinrichtungsquote von 300 Mann pro Nacht vollzogen. Andere Franken durften sich entscheiden, ob sie lieber zum Islam übertreten oder sterben wollten, während höherrangige Adlige wie etwa Jean de Joinville verschont wurden – sie waren als Geiseln zu wertvoll, um hingerichtet zu werden. Joinville erwähnt, dass König Ludwig mit Folter bedroht wurde: Man habe ihm einen fürchterlichen hölzernen Schraubstock gezeigt, »versehen mit ineinandergreifenden Zähnen«, der dem Opfer die Beine zerquetschte, doch diese Drohung wird durch keine andere Quelle bestätigt. Trotz seiner Krankheit und der erniedrigenden Umstände seiner Gefangennahme scheint der König seine Würde gewahrt zu haben. 22
Tatsächlich verbesserte sich Ludwigs Situation sogar, weil Turanshah gerade jetzt in immer größere Bedrängnis geriet. Seit seinem Eintreffen in Mansourah hatte der ajjubidische Erbe seine eigenen Soldaten und Beamten bevorzugt und damit viele Männer innerhalb der ägyptischen Militärhierarchie verprellt, darunter auch Aqtay, den Befehlshaber der Mamluken, sowie die Bahrijja. Turanshah hatte größtes Interesse daran, einen Vertrag auszuhandeln, mit dem er seine Herrschaft über die Nilregion stärken konnte; daher stimmte er Verhandlungen zu, und in der zweiten Aprilhälfte wurden die Bedingungen ausgehandelt. Man vereinbarte einen zehnjährigen Waffenstillstand. Der König von Frankreich sollte freigelassen werden, und als Gegenleistung war Damiette umgehend auszuliefern. Für die 12 000 Christen, die sich in der Hand der Ajjubiden befanden, wurde ein beträchtliches Lösegeld von 800 000 Gold-Bezant (40 000 livres tournois ) festgesetzt.
Anfang Mai jedoch sah es plötzlich ganz so aus, als sollte den Christen nicht einmal die Erfüllung dieser extremen Bedingungen ihre Freiheit zurückbringen, denn der ajjubidische Staatsstreich, auf den Ludwig [649] bei Mansourah so lange gewartet hatte, fand endlich statt. Am 2. Mai wurde Turanshah von Aqtay und einem brutalen jungen Mamluken aus dem Bahrijja-Regiment namens Baibars ermordet. Im anschließenden Machtkampf wurde zunächst Schadschar ed-Durr zur Repräsentationsfigur des ajjubidischen Ägyptens. Tatsächlich vollzog sich jedoch schon eine tiefergreifende Umwälzung: Die Mamluken wurden allmählich, aber unaufhaltsam immer stärker.
wurde Damiette wie geplant wieder von den Muslimen übernommen, und am 6. Mai 1250 wurde Ludwig auf freien Fuß gesetzt. Er machte sich nun daran, das Lösegeld zusammenzutragen, von dem er die Hälfte – 200 000 livres tournois – zu zahlen gedachte; 177 000 wurden aus der Kriegskasse des Königs genommen, den Rest steuerten die Templer bei. Es dauerte zwei Tage, bis diese riesige Summe abgewogen und gezählt war. Am 8. Mai bestieg Ludwig mit den wichtigsten Männern seines Gefolges ein Schiff nach Palästina, darunter seine beiden überlebenden Brüder, Alfons von Poitiers und Karl von Anjou, sowie Jean de Joinville. Die meisten Kreuzfahrer befanden sich noch in Gefangenschaft.
Nachwirkungen der Niederlage
Sämtliche Hoffnungen Ludwigs IX. auf eine Eroberung Ägyptens und einen Sieg im Kampf um das Heilige Land hatten sich zerschlagen. In vielerlei Hinsicht kristallisierte sich jedoch erst nach dieser demütigenden Niederlage heraus, wie tief der König vom Kreuzzugsideal beseelt war und wie ernst er dieses Ideal nahm. Unter ähnlichen Voraussetzungen, nach einem so kompletten Debakel, hätten sich viele christliche Monarchen aus dem Staub gemacht, wären nach Europa zurückgekehrt und hätten den Dingen im Vorderen Orient ihren Lauf gelassen. Ludwig tat genau das Gegenteil. Wohl wissend, dass seine Männer in muslimischer Gefangenschaft vermodern würden, wenn sein Einfluss auf das ägyptische Regime wegen ihrer Freilassung nachließ, beschloss er, weitere vier Jahre in Palästina zu bleiben.
In dieser Zeit amtierte Ludwig als oberster Herrscher über Outremer, und bis zum Jahr 1252 hatte er die Befreiung seiner Männer durchgesetzt. Unermüdlich war er tätig, so packte er etwa die glanzlose Aufgabe an, die Verteidigungsanlagen des Königreichs Jerusalem an der Küste zu ver [650] stärken, und
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