Die Kreuzzüge
Wildheit der Mamluken schockierte die Kreuzfahrer; einer schrieb, dass sie »fast nichts Menschliches mehr an sich hatten, sie waren wie wilde Tiere, außer sich vor Wut«, und er fügte hinzu, dass »sie sicher Angst vor dem Tod nicht kannten«. Viele Franken hatten in der Schlacht von Mansourah Verletzungen davongetragen; Jean de Joinville etwa konnte wegen seiner Wunden keine Rüstung anlegen. Dennoch kämpften sie tapfer und wurden durch Geschosshagel aus dem alten Lager auf der anderen Seite des Flusses unterstützt. Wieder blieb Ludwig standhaft, und die Christen konnten ihre Stellung behaupten, doch erneut starben Hunderte Kreuzfahrer, und viele wurden verletzt, unter ihnen der Großmeister der Templer. Er hatte schon am 8. Februar im Kampf ein Auge verloren, nun wurde ihm auch das andere Auge ausgestochen, und kurz darauf starb er an seinen Verletzungen.
In den beiden fürchterlichen Schlachten dieser Woche hatten die Lateiner unglaubliches Stehvermögen bewiesen. Ihren eigenen Angaben zufolge hatten sie beim zweiten Zusammenstoß 4000 Muslime getötet. [643] Es gibt in arabischen Quellen keine vergleichbaren Zahlenangaben, mit denen sich das bestätigen ließe, doch selbst wenn die Behauptung zutrifft, scheinen diese Verluste an der überwältigenden Überzahl der Ajjubiden nicht viel geändert zu haben. Der lateinische Gegner hatte überlebt, war allerdings erheblich geschwächt. Es muss nun allen klar gewesen sein, dass die Kreuzfahrer nicht mehr in der Lage waren, von sich aus anzugreifen. Bestenfalls konnten sie hoffen, ihren Außenposten am südlichen Flussufer zu halten. Wenn es aber nicht möglich war, Mansourah anzugreifen – wie konnte der Krieg dann überhaupt gewonnen werden?
In den nun folgenden Tagen und Wochen wurde diese Frage immer dringlicher. Die Ägypter unternahmen immer wieder Probeangriffe, gaben sich aber im Großen und Ganzen damit zufrieden, die Christen innerhalb ihrer Einfriedung festzuhalten. Bis Ende Februar, als sich keinerlei Hoffnungsschimmer auf einen Fortschritt abzeichnete, wurde die Stimmung im Lager immer düsterer; verschärft wurde die Notlage der Kreuzfahrer noch durch den Ausbruch von Seuchen. Das hing zum Teil mit der riesigen Zahl von Toten an Land und im Wasser zusammen. Joinville schrieb, er habe gesehen, wie Hunderte Leichen von der Strömung den Tanis heruntergetrieben wurden, bis sie gegen die Behelfsbrücke aus fränkischen Booten stießen, so dass »der ganze Fluss voll war mit Leichen, von einem Ufer zum andern und so weit flussaufwärts, wie man einen kleinen Stein werfen konnte«. Außerdem erkrankten die Männer an Skorbut, weil die Lebensmittel knapp wurden. 17
In dieser Situation wurde die Versorgungslinie nilabwärts nach Damiette zur Überlebensnotwendigkeit. Bislang konnte die Flotte der Christen ungehindert Material zu den Lagern bei Mansourah befördern, doch das sollte sich nun ändern. Am 25. Februar 1250 traf nach monatelanger Reise vom Irak der ajjubidische Erbe Ägyptens al-Muazzam Turanshah am Nildelta ein. Er brachte sofort neuen Schwung in die Aktionen der Muslime. Die Nilüberflutung war schon seit langem zurückgegangen, der Mahalla-Kanal enthielt also zu wenig Wasser, um von Süden her schiffbar zu sein; daher ließ Turanshah ungefähr 50 Schiffe über Land zum nördlichen Oberlauf des Kanals transportieren. Von dort konnten die Schiffe nilabwärts segeln und die fränkische Flotte bei Mansourah umgehen. Joinville gesteht, dass dieser dramatische Schachzug »unser Volk in Angst und Schrecken versetzte«. Turanshahs Manöver entsprach praktisch genau der Falle, die man dem fünften Kreuzzug [644] gestellt hatte, und für Ludwigs Unternehmung kam es einer Katastrophe gleich.
In den nächsten Wochen fingen ajjubidische Schiffe zwei Nachschubtransporte der Christen ab, die von Damiette in Richtung Süden unterwegs waren. Die Kreuzfahrer befanden sich in einer hoffnungslosen Lage. Ein lateinischer Zeitgenosse beschrieb die Verzweiflung, die nun das gesamte Heer ergriff: »Jeder rechnete damit, sterben zu müssen, keiner glaubte mehr an ein Entkommen. Es gab kaum einen Mann im ganzen Heer, der nicht einen toten Freund betrauerte, oder ein Zelt oder eine sonstige Unterkunft ohne Kranke oder Tote.« Joinvilles Wunden hatten sich mittlerweile entzündet. Er erinnerte sich später daran, wie er mit Fieber in seinem Zelt lag; draußen schnitten Bader den Kranken, die unter Skorbut litten, das verfaulende Zahnfleisch aus dem Mund, damit sie
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