Die Kreuzzüge
mit, darunter »Seile, Hämmer, Nägel, Äxte, Hacken und Beile«. Gleichzeitig ließen die Fürsten aus einigen nahegelegenen Wäldern, von denen sie durch einheimische Christen erfahren hatten, auf Kamelen Bauholz herbeischaffen. Beide Ereignisse veränderten die lateinischen Erfolgsaussichten von Grund auf: Endlich konnten die Kreuzfahrer Belagerungsmaschinen bauen. In den folgenden drei Wochen stürzten sie [111] sich in ein fieberhaftes Bauprogramm: Nahezu pausenlos entstanden Belagerungstürme, Katapulte, Rammböcke und Leitern, immer mit einem Auge auf der drohenden Ankunft des Entsatzheers al-Afdals. Unterdessen rechnete innerhalb Jerusalems auch Iftikhar ad-Daulah mit dem Eintreffen seines Herrschers, wobei er gleichzeitig für die Vermehrung seiner eigenen Steinwurfmaschinen sorgte sowie für zusätzliche Verstärkung der Stadtmauern und -türme.
Ihre verbissenen Vorbereitungen unterbrachen Belagerer und Belagerte nur, um barbarische Aktionen zu inszenieren und damit die gegnerische Moral zu untergraben. Regelmäßig wurden hölzerne Kreuze an den Stadtmauern hochgezogen und vor den Augen der aufgebrachten Kreuzfahrer ostentativ entweiht, indem die muslimischen Soldaten sie bespuckten oder sogar darauf urinierten. Die Franken ihrerseits brachten direkt vor der Garnison von Jerusalem jeden einzelnen Gefangenen um, üblicherweise durch Enthauptung. In einem besonders entsetzlichen Fall trieben die Kreuzfahrer diese Taktik auf die Spitze: Nachdem sie in ihrem Lager einen muslimischen Spion aufgegriffen hatten, wollten sie den Gegner wieder dadurch einschüchtern, dass sie den Spion in die Stadt zurückwarfen, so wie sie es schon mit vielen anderen Opfern in früheren Belagerungen gehalten hatten. Nach dem Bericht eines lateinischen Augenzeugen war bei dieser Gelegenheit der unglückliche Gefangene allerdings noch am Leben: »Er wurde in ein Katapult gelegt, doch sein Körper war so schwer, dass der arme Teufel nicht weit geschleudert werden konnte. Er fiel auf spitze Steine in der Nähe der Mauern, brach sich das Genick und sämtliche Knochen, angeblich war er sofort tot.« 4
Anfang Juli, als der Bau der Belagerungsmaschinen nahezu abgeschlossen war, erhielten die Franken die Nachricht, dass sich ein ägyptisches Entsatzheer sammelte; ein schneller Sieg wurde nun umso dringlicher. In diesem verzweifelten Augenblick war es wieder eine religiöse Offenbarung, die den Franken Mut machte und sie in dem Gefühl bestärkte, in göttlichem Auftrag zu handeln. Peter Desiderius, ein provençalischer Priester und Visionär, prophezeite, die Heilige Stadt könne erobert werden, wenn die Kreuzfahrer sich zuvor einem dreitägigen Reinigungsritual unterzögen. Wie in Antiochia wurden mehrere Predigten, öffentliche Beichten und Messen abgehalten. Das Heer hielt sogar um die Mauern der Stadt herum eine feierliche Barfuß-Prozession ab, [112] obwohl die ägyptische Garnison wenig Respekt für dieses Ritual erkennen ließ: Sobald die Kreuzfahrer in Reichweite kamen, regneten massenweise Pfeile auf sie herab. Als dann am Ende der zweiten Juliwoche der Bau der Belagerungsmaschinen abgeschlossen und der Geist der Kreuzfahrer von frommem Eifer erfüllt war, waren sie bereit für den Angriff.
DIE ERSTÜRMUNG JERUSALEMS
Die Kreuzfahrer begannen ihren Sturm auf Jerusalem in der Morgendämmerung des 14. Juli 1099. Im Südwesten waren Raimund von Toulouse und seine verbliebenen provençalischen Anhänger auf dem Zionsberg stationiert, während Graf Gottfried, Tankred und die anderen Lateiner die Ebene im Norden der Stadt besetzten. Als Hornsignale die Franken an beiden Fronten zum Kampf riefen, mussten die muslimischen Truppen, die in der Dämmerung über die nördliche Brüstung spähten, plötzlich feststellen, dass sie übel getäuscht worden waren. Gottfried und seine Männer hatten die letzten drei Wochen damit zugebracht, einen riesigen Belagerungsturm unmittelbar vor dem Viereckigen Turm zu errichten. Die fatimidische Garnison hatte beobachten können, wie dieses dreistöckige Ungetüm Tag für Tag wuchs, bis es eine Höhe von beinahe 20 Metern erreicht hatte, und sie hatte natürlich im Gegenzug alle Anstrengungen unternommen, um die Verteidigungsanlagen in der Nordwestecke der Stadt zu verstärken. Genau darauf hatte Gottfried gesetzt. Sein Belagerungsturm war nämlich so konstruiert, dass er in mehrere transportable Teile zerlegt und an anderer Stelle schnell wieder aufgebaut werden konnte. In der Nacht vom 13. auf den
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