Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
geholt hatte, war er endlich zu Hause.
Er verbrachte zwar nur knapp die Hälfte des Jahres hier, aber trotzdem war diese Wohnung seine Zuflucht, sein Schlupfwinkel, wie Grigän zu sagen pflegte. Im Handumdrehen hatte er im Wohnzimmer eine Lampe gefunden und sie angezündet.
Glücklich sah er sich in dem behaglichen Raum um. Grigän hatte sein ganzes handwerkliches Geschick aufgeboten, um den ehemaligen Speicher in eine mit allen Annehmlichkeiten ausgestattete Junggesellenbleibe zu verwandeln. Er hatte jedes Möbelstück selbst angefertigt, auch die vielen Regale und Schränke, in denen unzählige Bücher und Mitbringsel von verschiedenen Reisen standen.
Corenn sorgte dafür, dass die Wohnung jederzeit für die Rückkehr ihres einzigen Sohnes bereit war. Dreimal pro Dekade fegte ein Nachbarsmädchen die Zimmer aus und lüftete sie gründlich. Das Bett war stets frisch bezogen, und die Post lag in einem ordentlichen Stapel neben Feder und Tintenfass auf dem Schreibtisch. Eine Nachricht von seinen Eltern war nicht dabei, was Amanon für ein gutes Zeichen hielt. Sie würden nie und nimmer zu einer längeren Reise aufbrechen, ohne ihm wenigstens eine Notiz hinzulegen. Wahrscheinlich würde er sie schon am nächsten Morgen sehen.
Beruhigt beugte er sich über den Rucksack, um seine Bücher auszupacken.
In diesem Moment geschah das Unfassbare.
Die Eingangstür wurde jäh aufgestoßen, und drei Männer kamen hereingestürmt. Zwei trugen grüne Kutten, der dritte sah wie ein Einheimischer aus. Ihre Gesichter und Hände waren mit blauen Flecken, Kratzern und Wunden übersät. Die gleichen Blessuren schienen sie auch ihm zufügen zu wollen!
Ein Reflex, der ihm wohl im Blut lag, bewegte Amanon dazu, tief in seinen Sack zu greifen und seinen Angreifern alles, was er zu fassen bekam, ins Gesicht zu schleudern. Zuletzt hielt er nur noch seinen ramgrithischen Dolch in der Hand. Die Bücher und Kleidungsstücke, die auf die Unbekannten niederprasselten, lenkten sie einen Augenblick lang ab. Amanon wich zwei Schritte zurück und hob die Waffe, doch insgeheim wusste er, dass er keine Chance haben würde, wenn es zum Kampf kam.
Obwohl seine Reisen ihn immer wieder in unsichere Gegenden geführt hatten, war er noch nie in echte Gefahr geraten. Sein Status als Übersetzer und der Ruf, den sein Vater in den Unteren Königreichen genoss, bewahrten ihn davor, in Schlägereien und Scharmützel verwickelt zu werden. Grigän hatte seinen Sohn zwar im Bogenschießen und im Säbelkampf unterrichtet, doch Amanon hatte weder Talent noch besonderes Interesse gezeigt, und so hatten die Übungen immer seltener stattgefunden. Er erinnerte sich nur noch dunkel an die Grundsätze, die ihm sein Vater eingebläut hatte:
Sichere Hand, fester Stand, wacher Geist.
Die Unbekannten ließen sich von der blanken Klinge nicht beeindrucken. Sie holten dünne Schlingen aus ihren Kutten hervor und kamen mit erhobenen Händen näher. Amanon war wie gelähmt vor Angst. Hatten sie etwa vor, ihn zu erdrosseln? Die Vorstellung, in ihrem Griff qualvoll zu ersticken, verlieh ihm den Mut, ihnen den Dolch entgegenzustoßen.
Doch genau darauf hatten sie gewartet. Geschmeidig wichen sie dem unbeholfenen Angriff aus und schlugen ihre Schlingen gleichzeitig um die Handgelenke ihres Opfers. Blitzschnell schlugen sie das Seil noch zweimal um seine Arme und zogen es so fest, dass er nicht einmal mehr die Fäuste ballen konnte. Sie hatten ihn völlig in ihrer Gewalt.
»Wo ist der Junge?«, fragte der Kaulaner barsch.
Trotz seiner Angst begriff Amanon, dass es sinnlos war, sich zu wehren. Er heftete den Blick auf den Unbekannten, der eine gebrochene Nase und eine aufgeplatzte Lippe hatte. Wer hatte ihn so zugerichtet? Etwa Grigän?
»Wo sind meine Eltern?«, rief er mit zitternder Stimme.
Der Mann holte in aller Ruhe Luft und rammte ihm die Faust mit voller Wucht in den Magen. Amanon war auf den Schlag gefasst gewesen, aber der Schmerz war so heftig, dass es ihm für einen Augenblick den Atem verschlug. Die Männer in den grünen Kutten hielten seine Handgelenke unerbittlich fest. Offenkundig hatten sie nicht vor, ihn am Leben zu lassen.
»Ich frage dich ein letztes Mal: Wo ist der Junge?«, wiederholte der Schläger und schob sein Gesicht drohend näher.
Amanon murmelte etwas und gab gleichzeitig ein röchelndes Husten von sich, weshalb der Kaulaner noch dichter an ihn herantrat. In diesem Augenblick rammte Amanon dem Mann seinen Schädel gegen die gebrochene Nase, so
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