Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
Verstand meistern zu können. Das Fernweh war ihm angeboren, und er fühlte sich überall gleich zu Hause. Bowbaq pflegte zu behaupten, er vereine die besten Eigenschaften beider Elternteile in sich. Amanon schmeichelte das sehr, und er bemühte sich nach Kräften, diesem Kompliment gerecht zu werden.
Trotzdem war er nicht rundherum glücklich. Sein Freiheitsdrang hatte einen Einzelgänger aus ihm gemacht, der zwar bei allen beliebt war, aber kaum richtige Freunde hatte. Die Bekanntschaften, die er in nahezu jeder Stadt geschlossen hatte, waren kaum mehr als Zweckgemeinschaften, die eine Dekade lang währten. Beim nächsten Aufenthalt waren ihm die Freunde schon wieder fremd geworden, und so fiel es ihm schwer, engere Bande zu knüpfen. Auch in der Liebe hatte er bislang nur flüchtige Abenteuer erlebt. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass es fast vierzig Jahre gedauert hatte, bis sich seine Eltern gefunden hatten.
Heute Abend würde er sich jedenfalls nicht einsam fühlen. Corenn und Grigän feierten seine Rückkehr jedes Mal so überschwänglich, als wäre Eurydis höchstpersönlich in ihrem Haus erschienen. Auf dieses Wiedersehen freute sich Amanon am meisten. Das strahlende Gesicht seiner Mutter, wenn sie die Tür öffnete und ihren Sohn vor sich sah … Die knappe Umarmung seines Vaters, mit der er scheu seine Zuneigung zeigte … Beide arbeiteten oft bis spät in die Nacht. Wenn die Kaulaner wüssten, dass viele der Entscheidungen, die ihr Leben bestimmten, von den Ratschlägen eines Ramgrith beeinflusst wurden!
Es konnte natürlich auch sein, dass Grigän irgendwo im Haus herumwerkelte. Als sich sein Vater vor rund zwanzig Jahren an den Gedanken gewöhnt hatte, dass sein Nomadenleben vorbei war, hatte er sich mit Feuereifer auf Hammer und Säge gestürzt. Nach zwei Jahrzehnten der Wanderschaft hatte er für Corenn ein wahres Schloss entworfen, es mit eigenen Händen errichtet und viele architektonische Besonderheiten eingefügt, die ihm auf seinen Reisen aufgefallen waren. So war das Haus zu einer beliebten Sehenswürdigkeit der kleinen kaulanischen Hauptstadt geworden. Die Ratsfrauen pflegten zu scherzen, Grigän wolle mit dieser Residenz dem Großen Haus Konkurrenz machen.
Bei diesen Gedanken ging Amanon unwillkürlich schneller. Nachdem er über das Mittenmeer bis nach Benelia und dann die Gisle und die Meche hinauf bis in den Hafen von Kaul gesegelt war und mehrere Vororte zu Fuß durchquert hatte, war er jetzt nur noch einen Steinwurf von seinem Elternhaus entfernt. Eine anstrengende Reise lag hinter ihm, und er freute sich darauf, endlich anzukommen.
Als er um die letzte Straßenecke bog, sah er zu seinem Bedauern, dass er sich das freudige Wiedersehen vergeblich ausgemalt hatte. Hinter den Fensterläden war alles dunkel. Vermutlich hatte Corenn noch im Großen Haus zu tun, während Grigän auf dem Gang vor ihrer Schreibstube auf sie wartete. Oder die beiden hatten beschlossen, Yan und Leti in Eza zu besuchen.
Am Ende sind sie gar zu Bowbaq unterwegs!,
dachte Amanon missmutig. Er wollte höchstens eine Dekade in Kaul bleiben und würde es schade finden, seine Eltern nicht zu Gesicht zu bekommen, auch wenn sie natürlich ebenso wie er das Anrecht darauf hatten, auf Reisen zu gehen.
Vor Enttäuschung spürte er seine Erschöpfung noch deutlicher und dachte sehnsüchtig an das weiche Bett, das ihn zu Hause erwartete. Was für ein Luxus, nachdem er fünf Dekaden lang auf dem harten Sand der Tsched geschlafen hatte!
Mit einem Seufzer öffnete er die Pforte und ging durch den kleinen Obstgarten, der das Haus umgab. Der Eingang zum Garten war nie verschlossen, weil Grigän wusste, dass er sich auf Merbals Wachsamkeit verlassen konnte. Die Goldhaardogge, ein Geschenk von Bowbaq, schlug ungebetene Gäste sofort in die Flucht. Amanon wunderte sich, dass der Hund nicht auf ihn zugeschossen kam. Das konnte nur bedeuten, dass seine Eltern tatsächlich nach Arkarien gereist waren und Merbal mitgenommen hatten.
Sakkar!,
fluchte er in der Sprache der Unteren Königreiche vor sich hin. Er hatte sich so auf das Wiedersehen gefreut!
Auf einmal hatte er das Gefühl, dass der Rucksack, den er seit vielen Monden auf dem Rücken trug, doppelt so schwer war wie zuvor. Am liebsten hätte er ihn zu Boden geworfen und damit auch gleich seinen ganzen Unmut abgeschüttelt. Mit bleischweren Gliedern stieg er die Außentreppe hinauf, die zu seinen Zimmern führte. Nachdem er den Schlüssel aus dem Versteck im Geländer
Weitere Kostenlose Bücher