Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
die Umstehenden einem sogar zu Hilfe kommen. Doch obwohl er erst vierzehn Jahre alt war, wusste Cael, dass diese Hoffnung müßig war, auch wenn die Erwachsenen immer so taten, als wäre Hilfsbereitschaft eine der höchsten Tugenden.
Seit sie in der Stadt waren, wirkte Amanon weniger angespannt, als wäre die Zivilisation ein Bollwerk gegen die Ängste, die ihn plagten. Vielleicht freute er sich aber auch nur darauf, seine Eltern wiederzutreffen. Zumindest diese Frage hätte Cael ihm gern gestellt, doch sein Cousin war schon wieder in Corenns Tagebuch vertieft und taub und blind für alles andere.
Cael warf einen verstohlenen Blick auf die Seiten, so wie schon zwei- oder dreimal in den vergangenen Tagen. Leider war Corenns Schrift winzig, weshalb er sie auf die Entfernung nicht entziffern konnte. Das Einzige, was er erkennen konnte, waren seltsame Zeichen, die wie Buchstaben eines fremden Alphabets oder Symbole aus einem Zauberbuch anmuteten.
Cael fand den Gedanken selbst ziemlich absurd, auch wenn er ihn einfach nicht loswurde. Wie konnte es sein, dass die weise und besonnene Corenn an Magie, Hellseherei und derlei Unfug glaubte? Und was hatte es mit Amanons Heimlichtuerei auf sich, seinem plötzlichen Interesse an dem Anhänger, den er um den Hals trug, und den rätselhaften Symbolen, die die Seiten von Corenns Tagebuch bedeckten?
Jedenfalls würde Cael nicht mehr erfahren, wenn sich Amanon ihm nicht anvertraute. Mit einem leisen Gefühl der Enttäuschung wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Platz zu und beobachtete die unzähligen Menschen, die ihn bevölkerten.
Sie standen ganz am Rand, vor einem der dreistöckigen Häuser. Als die Gerichtsverhandlung begann, gingen sie auf den Springbrunnen in der Mitte des Platzes zu. Wenn sich jemand mit ihnen treffen wollte, dann hier und jetzt.
Das Problem war nur, dass das Treffen an jedem Tag dieser oder der nächsten Dekade stattfinden konnte. Oder erst im nächsten Jahr.
Vielleicht hatten sie es auch verpasst, aber daran wollte Cael lieber gar nicht erst denken.
***
Am Morgen hatte Nolan lange auf Keb einreden müssen, bis der Krieger bereit gewesen war, ihn ein weiteres Mal zu begleiten. Auch wenn er schließlich nachgegeben hatte, zog er nun ein mürrisches Gesicht. Geduld gehörte offenbar nicht zu seinen Stärken. Schon am ersten Tag hatte er über den Gang zum Platz der Büßer geklagt. Am zweiten Tag hatten sie vergeblich gewartet. Eryne machte ihrem Unmut ebenfalls wortreich Luft, obwohl sie ihr Zimmer kein einziges Mal verlassen hatte. Nolan musste die beiden immer wieder daran erinnern, dass sie schlicht und ergreifend keinen besseren Plan hatten.
Vor langer Zeit hatten seine Eltern diesen Treffpunkt im Norden Lorelias mit ihnen vereinbart. Damals hatte es sich lediglich um einen Ort gehandelt, an dem sie sich wiedertreffen sollten, falls die Kinder verlorengingen. Der Platz der Büßer war leicht zu finden, jedenfalls einfacher als das Herrenhaus der Familie Kercyan, das genauso aussah wie unzählige andere in der Stadt.
Da sich Eryne und Nolan als Kinder nie in den Straßen Lorelias verlaufen hatten, war der Treffpunkt mit der Zeit in Vergessenheit geraten. Vor zwölf Jahren hatte Nolans Vater den Platz der Büßer dann abermals erwähnt, bei einem Essen mit ihren Freunden aus Arkarien und Kaul. Es war eine dieser gemütlichen Runden gewesen, denen Eryne schon als junges Mädchen unter irgendeinem Vorwand fernblieb. An jenem Tag war von einer Art »Treffpunkt für den Notfall« die Rede gewesen. Irgendwann begriff Nolan, dass es um den gleichen Ort ging, den großen Platz zwischen dem Gericht und der öffentlichen Badeanstalt, aber er hatte sich nicht weiter um die Unterhaltung der Erwachsenen gekümmert.
Doch jetzt bekam dieses Gespräch eine ganz neue Bedeutung. Im Haus des Grafen Roban hatte Nolan viel Zeit zum Nachdenken gehabt, und so war er zu folgendem Schluss gekommen: Seine Eltern hatten nicht nur eine geheime Kammer im Keller eingerichtet und Geld und die notwendige Ausrüstung bereitgelegt, sondern auch einen Treffpunkt mit ihren langjährigen Freunden vereinbart. Der unterirdische Gang endete im Übrigen nur fünf oder sechs Straßen vom Platz der Büßer entfernt: Das konnte kein Zufall sein. Anscheinend hatten die Familie Kercyan und ihre Gefährten aus der Schlacht am Blumenberg beschlossen, sich hier zu treffen, falls ihnen erneut Gefahr drohte.
Natürlich konnte es sein, dass Nolan und Keb zwanzigmal zum Platz der Büßer
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