Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
gingen, ohne irgendjemanden zu treffen. Der Novize war jedoch der Meinung, dass sie nichts zu verlieren hatten, wenn sie es zumindest ein paar Tage lang versuchten. Anderenfalls blieb ihnen nichts übrig, als aus Lorelia zu fliehen, da die Graue Legion nach ihnen suchte. Aber was garantierte ihnen, dass die Spitzel des Königs sie nicht auf der Straße nach Kaul abfingen? Vielleicht wurden sogar die Stadttore überwacht.
Gegen so einflussreiche Feinde waren sie machtlos. Doch das war noch nicht das Schlimmste. Während er mit dem gähnenden Keb an seiner Seite durch die Straßen Lorelias lief, zuckte Nolan jedes Mal zusammen, wenn er einen Passanten mit einer itharischen Maske sah. Irgendwann bemerkte das selbst Keb, der sonst nicht besonders feinfühlig war.
»Hast du in einem Tempel was mitgehen lassen?«, fragte er und lachte laut über seinen eigenen Scherz.
Um eine Antwort verlegen, begnügte sich Nolan mit einem Schulterzucken. Mittlerweile hatte er sich an die Frechheiten des Wallatten gewöhnt, genauso wie an seine Maßlosigkeit. Statt wie ein Prinz verhielt sich Keb wie ein gewöhnlicher Draufgänger: Er ließ sich jeden Abend volllaufen und nahm anschließend eines der Freudenmädchen mit auf sein Zimmer. Eryne war darüber so empört, dass sie kein anderes Gesprächsthema mehr kannte, während Keb kaum noch ein Wort mit ihr wechselte.
Seit seinem Ausbruch im Schankraum der Herberge verhielt sich der Krieger ihnen gegenüber sanft wie ein Lamm. Er schien fest entschlossen, Lana zu finden, auch wenn es ihm gegen den Strich ging, sich jeden Morgen dekantenlang die Beine in den Bauch zu stehen. Er war sogar freiwillig zum Haus der Familie Kercyan zurückgekehrt, um nach dem Rechten zu sehen. In dem Gebäude hatte sich nichts gerührt, aber vor dem Tor standen zwei Männer Wache.
Der Wallatte schlug vor, einen der Grauen Legionäre zu entführen und ihn zum Reden zu bringen, aber Nolan und Eryne waren dagegen gewesen. Die Spione konnten ihnen vermutlich nicht viel sagen, ganz abgesehen davon, dass dieser Plan gefährlich war. Ohnehin war es für die Geschwister unvorstellbar, jemanden zu foltern, und daran, welches Schicksal dem Gefangenen anschließend drohte, mochten sie gar nicht erst denken.
Also versuchten Keb und Nolan herauszufinden, was seit ihrer Flucht geschehen war, indem sie Passanten, Wirtshausbesucher und Markthändler befragten. Viel war nicht über Roban von Sarcys Tod zu erfahren. Gerüchten zufolge war er von einer Bande Einbrecher ermordet worden. Über das Verschwinden der Kercyans wurde dafür umso mehr getratscht. Am häufigsten hieß es, der Herzog habe den König verraten und sei mit seiner Familie auf der Flucht. Eryne und ihr Bruder ertrugen die üble Nachrede nur schlecht, aber sie trösteten sich mit dem Gedanken, dass das Geschwätz aufhören würde, sobald Reyan und Lana wieder auftauchten.
Allerdings drohten sie auf der Straße jederzeit von einem Neugierigen erkannt und angesprochen zu werden. Zum Glück war Nolan nicht besonders auffällig, und da er schon seit einer ganzen Weile in Ith lebte, war sein Gesicht in der Stadt weniger bekannt als das seiner Schwester. Sicherheitshalber hatte er aufgehört, sich den Schädel zu rasieren, und sein Novizengewand abgelegt. Eryne wiederum hatte wie angekündigt seit drei Tagen keinen Fuß vor die Tür gesetzt. Ihr Bruder brachte ihr mehrmals am Tag etwas zu essen und unterhielt sich mit ihr, und wenn sie Pläne schmiedeten, gesellte sich Keb zu ihnen. Für Eryne war es eine Frage der Ehre, die Sittenlosigkeit, die im Schankraum der Herberge herrschte, mit Missachtung zu strafen. Nolan hatte jedoch den Verdacht, dass sie Keb vom Treppenabsatz aus hinterherspionierte, denn sie war über all seine Eskapaden hervorragend informiert.
Vielleicht würde er seiner Schwester heute endlich gute Nachrichten überbringen können. Er durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Heute würde er nicht nur in Begleitung Kebs zur Herberge zurückkehren!
Kurz darauf erreichten die beiden Männer den Platz der Büßer. Wie jeden Tag stellten sie sich an den Springbrunnen, machten sich auf eine längere Wartezeit gefasst und beobachteten die Menschenmenge.
Vor dem Gerichtsgebäude nahm der Richter an seinem Pult Platz. Gleich würde er eine lehrreiche Geschichte zum Besten geben und sein Urteil verkünden.
Als ein Trommelwirbel den Beginn der Gerichtsverhandlung ankündigte, schlug Amanon Corenns Tagebuch zu und schob es unter seine Lederjacke, wo er es
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