Die Krieger 2 - Der Verrat der Königin
um die Schultern legte. Ihr Sohn hatte also seine Wahl getroffen. Sie konnte ihm nur noch Glück wünschen. Wenn er sich beeilte, würde er vielleicht mit den Erben entkommen - er schien ja fest an diese Kinder zu glauben.
»Lass ihm seinen Willen«, erwiderte sie. »Und ruf deine Männer zusammen. Wir brechen sofort auf.«
Als sie sich die Kettenkapuze übergezogen hatte, warteten ihre Krieger bereits im Gang auf sie. Wenn es sein musste, würden sie ihr bis ans Ende der Welt folgen – aber so weit würde sie ihr Weg hoffentlich nicht führen. Sobald sie und ihre Eskorte die Gasse vor der Residenz verlassen hatten, atmete sie ein wenig auf. Doch erst einige Straßen weiter wagte sie es, stehen zu bleiben, die Maske abzunehmen und ihren Tränen freien Lauf zu lassen.
Flieh, mein Sohn!,
betete sie stumm.
Flieh, und komm den Klauen des Dämons nie wieder zu nah!
Das Erste, was Niss spürte, war die Kälte, die ihr in die Glieder kroch. Einen Augenblick lang glaubte sie, wieder in den eisigen Fluten des Mittenmeers versunken zu sein, und dieser Gedanke war so grauenvoll, dass sie auf einen Schlag wach wurde. Mit wild pochendem Herzen öffnete sie die Augen und starrte an die niedrige Decke eines steinernen Gewölbes, das im Schein einer Lampe feucht glänzte. Wo war sie? Und wie war sie hierher gekommen?
Nachdem sich die erste Verwirrung gelegt hatte, setzte sie sich stöhnend auf und stellte fest, dass sie auf einem unebenen, kalten Steinboden gelegen hatte. Kein Wunder, dass ihr jeder Knochen wehtat. Im nächsten Moment entdeckte sie ihre Freunde und vergaß vor lauter Überraschung den Schmerz.
Auch die anderen lagen ohne Matratzen oder Decken auf der nackten Erde und schliefen so tief und fest, dass Niss es mit der Angst zu tun bekam. Nur Keb war nirgendwo zu sehen. Was war passiert? Nolans Bericht war das Letzte, an das sie sich erinnerte. Sie musste währenddessen eingenickt sein.
Ihre Bewegungen waren noch unsicher und ihre Beine furchtbar steif, aber sie schaffte es trotzdem, aufzustehen. Als sich der Schwindel gelegt hatte, blickte sie sich in dem Gewölbe um. Es sah aus wie ein Gefängnis. Die schwere Tür hatte auf der Innenseite weder Klinke noch Schloss, ansonsten war der Raum völlig leer, es gab nicht einmal einen Schemel oder einen Nachttopf. Nach den Spinnennetzen und Staubflocken in den Ecken zu urteilen, war das Verlies schon lange nicht mehr benutzt worden. Warum waren sie hier eingesperrt? In ihrer Vertrauensseligkeit kam Niss gar nicht auf den Gedanken, die Königin oder gar Keb könnten sie verraten haben.
Als Erstes musste sie die anderen wecken – vielleicht wussten sie eine Antwort. Aber ihre Knie waren immer noch weich wie Butter. So schwer war ihr das Wachwerden sonst nie gefallen. Sie erinnerte sich, dass sie ein Glas Wein getrunken hatte: War das der Kater, über den die anderen immer gescherzt hatten? Wohl kaum. Dass sich ihre Freunde überhaupt nicht rührten, war nicht normal. Ihr kam ein schrecklicher Gedanke: War ihnen etwa ein Rauschmittel verabreicht worden? Kaum war sie etwas sicherer auf den Beinen, tappte sie zu ihrem Großvater. Sein Gesicht sah ganz friedlich aus, aber dass er nicht schnarchte, bestätigte ihre Befürchtung, dass es sich nicht um gewöhnlichen Schlaf handelte. Aus dem Verdacht wurde Gewissheit, als sie Bowbaq heftig schüttelte, ohne ihm auch nur die geringste Regung zu entlocken. Niss bekam entsetzliche Angst, dass er vielleicht nie mehr aufwachen würde. Panik stieg in ihr hoch, und sie trommelte auf ihn ein, zerrte an seinem Bart und kniff ihn sogar in den Arm. Zu ihrer unendlichen Erleichterung knurrte er schließlich missmutig und schlug die Augen auf. »Hmpf, Niss, leg dich wieder hin«, brummte er schlaftrunken. Stattdessen zog ihn seine Enkelin energisch am Arm, um ihn zum Aufstehen zu zwingen. Sie schaffte es zwar nicht, ihn von der Stelle zu bewegen, aber immerhin wurde er dadurch endgültig wach. Zuerst sah er sich verwirrt in dem Verlies um, so wie Niss einige Dezillen zuvor. Dann verwandelte sich die Verblüffung auf seinem Gesicht allmählich in Entsetzen, und er streckte den Arm aus, um den neben ihm liegenden Amanon an der Schulter zu rütteln. Als er sich nicht rührte, entdeckten sie das Blut an seiner Schläfe.
»Was ist passiert?«, fragte Bowbaq erschrocken. »Wo ist Kebree?«
»Keine Ahnung«, sagte Niss.
Beim Anblick von Amanon's Wunde war ihre Benommenheit schlagartig verschwunden. Niss lief zu Cael, Eryne und den anderen, um
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