Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen
beide Schriften fast auswendig, aber weil noch so vieles ungeklärt war, fragte er Bowbaq immer wieder nach seinen Erinnerungen an das Jal. Zu seinem Bedauern war der Arkarier keine große Hilfe, sobald das Gespräch zu abstrakt wurde. Schließlich wünschte sich Nolan nichts sehnlicher, als endlich die ethekischen Schriftzeichen übersetzen zu können.
Nach dem Abendessen, als die Landzunge von Manive weit hinter ihnen lag und die Sonne im Meer versank, beschloss Nolan, das Thema noch einmal anzusprechen.
Sobald er das Wort »Erzfeind« fallen ließ, war ihm die Aufmerksamkeit seiner Freunde sicher. Es war, als hätten sie nur auf die Gelegenheit gewartet, das Gespräch weiterzuführen.
»Wir wissen nun, dass der Erzfeind hier an diesem Tisch sitzt. Bowbaq kann es nicht sein, denn die Undinen haben niemanden der vorherigen Generation als den Erzfeind erkannt.«
»Dann bleiben noch sechs Möglichkeiten«, sagte Niss unbefangen.
»Ich habe mit dieser Prophezeiung nichts zu tun«, knurrte Keb. »Wie oft soll ich das noch sagen? Seid ihr taub?«
»Du irrst dich«, widersprach Nolan. »Verzeih, wenn ich unangenehme Erinnerungen wecke, Kebree, aber du bist nun einmal Saats Sohn. Und Saat war einer der weisen Gesandten, in deren Gegenwart die Undinen vor über hundert Jahren folgende Prophezeiung aussprachen:
Für alle Zeiten wird ein einziger Sterblicher eine einzige Chance haben, den Dämon zu besiegen. Es wird einer Eurer Nachkommen sein, und er wird der Erzfeind genannt werden. Von seinem Sieg hängt der Anbruch des Zeitalters der Harmonie ab.«
Die Sätze, die so viel Unheil über die Welt gebracht hatten, schienen noch eine Weile in der Luft zu hängen.
»Unsinn«, beharrte Keb. »Diese komischen Feuerschlangen haben Bowbaq und euren Eltern vor zwanzig Jahren genau dasselbe erzählt. Und da war mein …
Vater,
wie du ihn nennst, nicht dabei.«
»Das ist richtig, aber es ändert nichts an der ursprünglichen Prophezeiung«, erklärte Nolan. »Die Undinen haben sie nur noch einmal wiederholt, das ist alles. Wenn Chebree oder Saat dabei gewesen wären, hätten ihre Worte nicht anders gelautet.«
Keb wand sich auf der Bank. Offenbar hatte er diesem Argument nichts mehr entgegenzusetzen.
»Damit eins klar ist: Es würde mir durchaus schmecken, dem Dämon, der meiner Mutter das Leben zur Hölle macht, mit meiner Lowa den Kopf abzuschlagen und ihm die Eingeweide rauszureißen. Aber dieses ganze Gerede vom Zeitalter der Harmonie und anderem Blödsinn, den sich irgendwelche Maz ausgedacht haben, lässt mich kalt. Mal im Ernst: Könnt ihr euch vorstellen, wie ich in Eurydis’ Namen für das Gute kämpfe?«
Nolan schüttelte den Kopf. Trotzdem war Keb offenbar nicht entgangen, dass der Erzfeind eine göttliche Bestimmung zu erfüllen hatte. Das Zeitalter der Harmonie oder das Zeitalter von Ys, wie es in der eurydischen Religion genannt wurde, würde anbrechen, sobald Sombre besiegt war. Wie diese verheißungsvolle neue Ära aussehen würde, lag jedoch im Dunkeln. Bislang hatten die Erben das Thema vermieden, aber jetzt, da sie etwas mehr Klarheit hatten, verspürten sie das Bedürfnis, darüber zu sprechen.
»Nichts besagt, dass der Erzfeind gläubig sein muss«, brachte Nolan vor. »Deshalb bleiben tatsächlich sechs Möglichkeiten. Nur Zejabel stammt nicht von einem der weisen Gesandten ab.«
»Aber sie war die Dienerin einer Göttin«, gab Amanon zu bedenken. »Das dürfen wir nicht vergessen.«
»Richtig. Darauf wollte ich noch zu sprechen kommen. Im Buch der Weisen und in allen religiösen Schriften, an die ich mich erinnere, werden Kämpfe zwischen Menschen und übernatürlichen Kreaturen geschildert. Wir können davon ausgehen, dass diese Kreaturen aus dem Jal stammen. Aber mir ist Folgendes aufgefallen: Sie werden nie als Götter oder Dämonen bezeichnet, sondern immer nur als ›Ungeheuer‹.«
»Das verstehe ich nicht«, murmelte Bowbaq.
»Ich auch nicht«, sekundierte Cael.
»Denkt nur daran, was Zui’a über die Unsterblichkeit gesagt hat. Alle Kreaturen, die in den Geschichten den Tod finden und zu denen wir vermutlich auch den Lemur zählen müssen, gegen den wir in Goran gekämpft haben, sind keine richtigen Götter. Deshalb können sie von gewöhnlichen Menschen getötet werden. Aber nur ein Gott kann das Leben eines anderen Gottes auslöschen, so wie Sombre es mit Aliandra getan hat.«
Auf seine Worte folgte betroffenes Schweigen, und alle warfen Eryne verstohlene Blicke zu.
»Wenn sich
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