Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen
aus dem Laderaum, in dem die anderen schliefen, wünschte Bowbaq in der Kombüse einen guten Morgen und ging dann an Deck, um die frische Morgenluft zu genießen. Der Tag versprach wunderschön zu werden, und es schien sein Glückstag zu sein, denn Niss war ebenfalls schon auf den Beinen und betrachtete die Küste der Unteren Königreiche in der Ferne. Seit dem Vorabend wollte Cael unter vier Augen mit ihr reden, und diese Gelegenheit würde er sich nicht entgehen lassen, zumal sie ihn mit einem strahlenden Lächeln begrüßte.
»Ich habe die ganze Nacht von diesen grässlichen Schlangen geträumt«, sagte sie. »Sei froh, dass du nichts davon mitgekriegt hast.«
Cael nickte höflich. Bei der Erwähnung der Ungeheuer, die seine Freunde ihm beschrieben hatten, blitzte ein Bild vor seinem geistigen Auge auf: eine kurze Vision von Usul. Nachdem es in der Höhle heller geworden war, hatte er ihn sehen können. Cael versuchte, das Bild festzuhalten, aber es war bereits wieder in den Tiefen seines Gedächtnisses verschwunden. Auch dieses Wissen würde er seinem anderen Ich abtrotzen müssen.
»Bist du immer noch bereit, mir zu helfen?«, fragte er.
Niss wurde schlagartig ernst. »Was kann ich tun?«
»Am besten erzählst du mir als Erstes noch einmal von deiner Erinnerung an das, was im Hafen von Lorelia geschehen ist. Als du mich mit so einer Art Zwillingsbruder gesehen hast.«
Niss dachte einen Moment lang nach, als müsste sie nach den richtigen Worten suchen. Cael wusste, dass sie nur ungern von ihrer Zeit im Tiefen Traum sprach, aber er wollte unbedingt wissen, was sie gesehen hatte. Niss war die Einzige, die ihm etwas über seine Stimme verraten konnte.
»Also … Du weißt ja mittlerweile, was es bedeutet, ein Erjak zu sein. Wir können in Gedanken mit Tieren sprechen, indem wir in ihren Geist eindringen. Aber dafür müssen wir uns diesen Geist
vorstellen.
Großvater sieht ihn als eine Art Nebel, mit Gefühlen und Gedanken in Form von Wirbeln. Ich hingegen sehe die Tiere, wie sie wirklich sind. Das kommt wohl daher, dass sich meine Erjak-Kräfte sehr früh entwickelt haben. Als ich vier Jahre alt war, konnte ich zum Beispiel nicht an einen Fuchs denken, ohne sein rotes Fell und seinen buschigen Schwanz vor Augen zu haben, auch wenn die Erjak-Meister lehren, die äußere Gestalt zu vergessen. Kurz gesagt: Für mich sieht ein Geist immer genauso aus wie das Äußere.«
»Du hast also tatsächlich zwei Wesen in mir gesehen«, sagte Cael nach kurzem Nachdenken.
»Ja. Deshalb weiß ich auch, dass du nicht verrückt bist. Manchmal gewinnt dein anderes Ich die Oberhand, und dann verändert sich dein Charakter, aber das bedeutet nicht, dass du den Verstand verlierst.«
»Hast du so etwas schon einmal gesehen? Zwei Wesen in einem Körper?«
»Noch nie«, antwortete Niss. »Deshalb bin ich auf dem Schiff vermutlich auch gleich zu dir hingelaufen. Manchmal erinnere ich mich an etwas aus dem Tiefen Traum … Es kommt mir so vor, als hätte ich damals ständig den Geist aller Lebewesen gesehen. Ganz ohne mich konzentrieren zu müssen.«
Cael presste enttäuscht die Lippen aufeinander, aber Niss war noch nicht fertig.
»Du bist zwar der Erste, bei dem ich es selbst gesehen habe, aber ich habe von anderen Fällen gehört. So kann es vorkommen, dass das Herz eines Erjaks zu schlagen aufhört, während sein Geist einen anderen Körper kontrolliert, zum Beispiel den eines Bären. Wenn das passiert, lebt der Bär zwar weiter, aber der Erjak beherrscht ihn bis zum Ende seines Lebens. So hat man es mir zumindest erzählt.«
»Aber bei mir ist es anders. Sombre befindet sich nicht mehr in meinem Kopf. Wir wissen, dass er vor kurzem Chebree aufgesucht hat. Die Stimme muss also eine Art Überbleibsel sein. Schließlich ist er in meinen Geist eingedrungen, als ich noch ein Säugling war.«
»Das kann gut sein. Wenn ein Erjak zu plötzlich oder zu brutal in den Geist eines Tiers eindringt, ist es von dieser Erfahrung manchmal so verstört, dass es sich jahrelang nicht davon erholt. So wie bei dem Pferd neulich. Allerdings reicht das nicht aus, um ein zweites Ich in einem Körper zu erschaffen. Zu so etwas ist niemand in der Lage.«
»Anscheinend doch«, erwiderte Cael mit einem schweren Seufzer.
Er schwieg für einen Moment und rief dann Amanon einen Gruß zu, der wie jeden Morgen an Deck nach dem Rechten sah. Cael wartete, bis sich sein Cousin wieder entfernt hatte.
»Sombre hat meinen Geist von meiner Geburt an
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