Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen
hatten statt einer Tür nur einen Stoffvorhang. Auch die Einheimischen wirkten ausgezehrt, wie niedergedrückt von einer doppelten Last: der sengenden Sonne und der Tyrannei ihrer eigenen Söhne. Männer, Frauen und selbst die Kinder schlurften mit gekrümmtem Rücken und hängenden Schultern durch die Straßen, als müssten sie sich ständig vor den Boten der Rachegöttin ducken.
Alle Einheimischen, die die Feluke erblickten, machten sogleich auf dem Absatz kehrt, denn Nolan spielte seine Rolle sehr überzeugend. Während Keb und Cael die Segel einholten, lief er ungeduldig an Deck auf und ab. Die Freunde hatten beschlossen, dass er sich möglichst viel zeigen sollte, um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass das Schiff den Priestern Zuias gehörte. Bislang hatte sich kein echter Bote blicken lassen, aber das konnte sich jederzeit ändern.
Während Amanon zurück an Bord kletterte, lief ein weiteres Schiff in den Hafen ein, ein Getter mit bauchigem Rumpf, der mindestens so alt war wie die erste
Othenor.
Im Gegensatz zu den Erben, die sich bemüht hatten, möglichst wenig aufzufallen, stießen die Neuankömmlinge laute Rufe und Freudenschreie aus. Auf den Anlegestegen, die gerade noch wie ausgestorben dagelegen hatten, liefen plötzlich Menschen zusammen. Sie strömten aus den Häusern und Läden oder eilten vom Platz am Pier und aus den angrenzenden Straßen herbei. Fassungslos starrte Amanon auf das Spektakel. Unter den Schaulustigen, die zum Teil vom Essenstisch aufgesprungen sein mussten, waren mehrere Züu-Priester. Er zählte mindestens sechs in zwei Gruppen, vor denen sich die Menschenmenge wie durch Zauberhand teilte.
»Was jetzt?«, flüsterte Nolan gepresst.
»Nichts«, antwortete Amanon. »Wenn wir gleich wieder auslaufen, wäre das viel zu verdächtig. Wir können nur abwarten.«
Leider beschlossen die Fischer, ihr Boot ausgerechnet neben der
Othenor II
festzumachen, und bald drängten sich um die zweihundert Menschen auf dem Steg direkt vor ihnen. Nolan wusste nicht mehr, ob er weiterhin an Deck auf und ab laufen oder sich besser verstecken sollte. Er beschloss, oben zu bleiben, stellte sich jedoch so weit wie möglich von den Schaulustigen entfernt an die Reling, um nicht angesprochen zu werden.
Während die Fischer die Segel einholten, erkannte Amanon endlich den Grund für die Aufregung. Die Besatzung hatte einen Talantenhai gefangen, der an einer großen Seilwinde am Heck hing. Das Tier musste ursprünglich acht bis neun Schritte lang gewesen sein, auch wenn das schwer zu sagen war, denn der Kadaver war nicht mehr intakt. Er war zu groß, um an Bord gezogen zu werden, und so musste er sich die ganze Rückfahrt über im Wasser befunden haben. Kleinere Raubfische hatten sich an dem unverhofften Festmahl gütlich getan: Der Kadaver war an mehreren Stellen angenagt und bot einen ekelerregenden Anblick. Trotzdem erschallten aus der Menschenmenge bewundernde Rufe, denn ein solcher Hai sicherte den Familien der Fischer für mehrere Dekaden den Lebensunterhalt. Der Amber aus dem Magen des Raubfisches war auf dem Markt in Lorelia oder Goran mehrere Unzen Gold wert.
»Was ist denn da draußen los?«, wisperte Eryne.
Amanon schlich zur Luke, die einen Spalt offen stand und hinter der Eryne krampfhaft versuchte, die Ursache für das Geschrei zu erkennen. Tatsächlich musste sich der Lärm beunruhigend anhören, wenn man sich unter Deck befand.
»Alles in Ordnung«, raunte er ihr zu. »Bleibt, wo Ihr seid.«
Er hatte den Satz noch nicht beendet, da zeigte einer der Boten Zui’as mit dem Finger auf die Feluke. Kaum hatte er etwas zu seinen Komplizen gesagt, da kamen drei Priester über den Steg auf sie zugelaufen, das Kinn arrogant in die Luft gereckt.
Nervös machte Amanon ein paar Schritte auf die Bank zu, unter der seine Waffe verborgen war. Keb tat es ihm auf der anderen Seite des Schiffs gleich, während sich Cael wie vereinbart neben die Luke zum Laderaum stellte, um die anderen notfalls zu warnen.
Die Züu kamen immer näher, während Amanon das Gefühl hatte, die Zeit stehe still. Er wusste, dass ein Kampf gegen einen Boten Zui’as kein gewöhnlicher Kampf war. Sie mussten ihm mit ihrem vergifteten Hati nur leicht die Haut aufritzen, und es wäre vorbei mit ihm. Und selbst wenn es den Gefährten mit großem Glück gelänge, die drei Züu zu besiegen, würden sofort unzählige weitere Feinde ihren Brüdern zu Hilfe eilen.
Die Priester waren nur noch zehn Schritte von der
Othenor
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