Die Krieger 4 - Das Geheimnis der Pforte
heftete sich auf das Seil, das Amanon ihm immer noch hinstreckte.
In einer plötzlichen Anwandlung griff sie selbst danach und ging zu Cael, der wieder einen Satz zurücksprang. Doch sie hatte nicht vor, irgendetwas zu erzwingen, zumindest nicht auf Wegen, die der schwarzen Macht des Karu begreiflich waren. Sie hielt lediglich das Seil zwischen sich und Cael und näherte sich sacht seinen Lippen, um ihm einen ersten Kuss zu geben, und dann einen zweiten …
Sie spürte, wie seine zitternden Finger ihre Hände berührten und sie zärtlich und zugleich entschlossen umklammerten. Auf ein Zeichen von Amanon begannen ihre Gefährten, das Seil hochzuziehen. Als Niss die Augen wieder öffnete, blickte sie in Caels verliebtes Gesicht, und die Sonne des Dara schien auf sie herunter.
Ihre Freunde halfen ihnen auf und ließen das Seil ein letztes Mal hinab, um Amanon aus der Höhle zu ziehen. Die Finsternis, aber auch die Zärtlichkeit der vergangenen Dezillen wirkte noch so stark in Niss nach, dass sie sich wie betäubt umsah.
Der Anblick der ewigen Gärten traf sie wie ein Schlag. Was sie immer schon geahnt hatte, bestätigte sich nun: Sie kannte diesen Ort. Schon zweimal war sie hier gewesen, öfter sogar, wenn man die vielen Momente mitzählte, in denen sie aufgewacht und wieder zurückgeglitten war.
Das Dara war der Tiefe Traum.
***
An diesem Morgen kamen ihm die Sonnenstrahlen wärmer vor als sonst, aber Yan ließ sich von diesem Eindruck nicht täuschen. Seit er mit Leti und ihren Freunden in den Gärten festsaß, glich ein Tag dem anderen. Selbst das Wetter veränderte sich nie. Warum sollte es ausgerechnet heute anders sein?
Weil die Hoffnung, die uns seit jeher antreibt, unsere Stärke ist,
gab er sich selbst zur Antwort.
Ohne diese Hoffnung hätten wir nie und nimmer so viele Schicksalsschläge überstanden.
Inzwischen war es ihm zur Gewohnheit geworden, sich morgens vor ihrer Höhle umzusehen und dann zu der Felswand zu schlendern, um ins Tal hinunterzublicken. Schon von weitem sah er, dass er mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte: Die Landschaft des Dara war vollkommen unverändert. Nur die Anwesenheit der Kinder sorgte hin und wieder für ein wenig Bewegung in der ansonsten wie hingemalt erscheinenden Kulisse. Meist schlummerten die kleinen Mädchen und Jungen jedoch ebenfalls reglos im Gras oder versteckten sich zwischen Büschen und Bäumen vor den Besuchern. Auch die gewaltige Pforte, die das Tal überragte, hatte sich seit ihrer Ankunft nicht mehr geöffnet.
Gerade als Yan sich wieder auf den Rückweg machen wollte, stach ihm etwas Ungewöhnliches ins Auge. Nicht in den Gärten, sondern ein paar Schritte vor ihm – genauer gesagt, am Rand des Felsvorsprungs. Es sah ganz so aus, als wäre dort ein Stück herausgebrochen.
Ein Steinschlag, hier im Jal? Das wäre wirklich einmal was Neues!
Vorsichtig trat er bis an die Kante heran. Natürlich wollte er nicht riskieren, in die Tiefe zu stürzen, aber in seiner Neugier konnte er nicht umhin, das Phänomen näher zu erkunden.
Seine Entdeckung verschlug ihm einige Augenblicke lang die Sprache, und er rieb sich ungläubig die Augen.
Hatte die Magie des Dara etwa eine Sinnestäuschung hervorgerufen? War sein sehnlichster Wunsch tatsächlich wahr geworden? Nachdem er die Hand ausgestreckt und die Stelle betastet hatte, war kein Zweifel mehr möglich. Die Landschaft hatte sich verändert, und das auf geradezu spektakuläre Weise. Also hatte ihn sein Gefühl am Morgen doch nicht getrogen!
Im ersten Moment war er versucht, die Gelegenheit zu nutzen, so lange sie sich bot. Sonst vertat er vielleicht die einzige Chance, jemals etwas an ihrer Lage zu ändern. Aber er war eine zu treue Seele, um seine Frau und seine Freunde zurückzulassen, selbst wenn es in der Absicht geschah, ihnen zu helfen. Kaum hatte er seine Entscheidung getroffen, sprang er auf und lief zu den anderen zurück, so schnell ihn die Beine trugen. Wie immer wartete Grigän bereits auf ihn, doch seine tagtägliche Frage erübrigte sich: Er begriff sofort, dass etwas Außergewöhnliches vorgefallen war.
Während Yan die anderen weckte und ihnen zurief, dass sie umgehend aufbrechen müssten, eilte der Krieger zu Corenn und rüttelte sie wach. Nicht einmal drei Dezillen später führte Yan seine Freunde zu der Steilwand. Die Überraschung und Freude, die sich gleich darauf auf Letis Gesicht abzeichneten, war ihm Belohnung genug.
»Bei allen Göttern …«, murmelte Grigän.
»… und ihren
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