Die Krieger 4 - Das Geheimnis der Pforte
angrenzenden Viertel durchkämmt. Von Cael keine Spur. Natürlich konnte es sein, dass sie an ihm vorbeigelaufen waren, ohne ihn zu sehen. Er musste sich nur in einem der vielen Tempel versteckt haben, in einer Schänke oder Unterkunft, die Pilgern freie Kost und Logis boten. Vielleicht war er auch den goronischen Soldaten oder der Dunklen Bruderschaft in die Hände gefallen, oder er hatte die Stadt längst verlassen.
Insgeheim hatte Nolan gehofft, ihn irgendwo in einer dunklen Ecke kauern zu sehen, die Knie vor der Brust und das Gesicht in den Armen vergraben. Doch je mehr Zeit verging, desto weniger glaubte er daran. Seit fast einem Dekant durchstreiften sie nun schon vergeblich die Straßen. Mittlerweile war es dunkel geworden. Die meisten Gläubigen hatten sich für die Nacht in einen Tempel oder eine Herberge zurückgezogen oder waren ganz einfach in ihren Häusern verschwunden.
Nach und nach bevölkerten sich die Straßen mit einem Menschenschlag, der Nolan nur allzu vertraut war. Neben den traditionellen Gebeten und Zeremonien würden bald andere Rituale zelebriert werden, Rituale zu Ehren der Kinder des Kam. An finsteren Straßenecken versammelten sich Gestalten mit tief in die Stirn gezogenen Kapuzen, um hastig ein paar geflüsterte Worte zu wechseln und dann zu einem geheimen Treffpunkt aufzubrechen.
Mehr noch als die allgegenwärtigen Soldaten gaben Nolan diese zwielichtigen Gestalten ein mulmiges Gefühl. Zweimal glaubte er, einen Mann im Gewand der Anhänger Soltans vorbeihuschen zu sehen, und ein anderes Mal blitzte die grüne Kutte der Valiponden unter einem Mantel aus grobem Stoff auf. Da die Erben ihre Masken in der Herberge gelassen hatten, damit Cael sie schon von weitem erkennen konnte, fühlte sich Nolan besonders angreifbar. Auch seine Gefährten wirkten immer nervöser. Vor allem Zejabel schien bereit, dem ersten Kapuzenträger, der ihnen zu nahekam, die Kehle aufzuschlitzen.
Weihrauchschwaden wehten durch die Gassen, Gesänge erschallten von überallher, und Kerzen und Fackeln warfen ihr flackerndes Licht auf das Pflaster. In dieser unheimlichen Atmosphäre hatten die Erben mehr denn je das Gefühl, sich auf feindlichem Gebiet zu bewegen. Es war, als irrten sie durch die Katakomben der Dunklen Bruderschaft und müssten jeden Moment damit rechnen, hinterrücks erschlagen und einem grausamen Dämon geopfert zu werden.
»Heute Abend finden wir Cael nicht mehr«, sagte Keb schließlich und sprach damit aus, was alle dachten. »Vielleicht ist er längst in die Herberge zurückgekehrt, und jetzt machen sich die drei anderen Sorgen um uns, während wir hier sinnlos unsere Zeit vertrödeln.«
»Schön wär’s«, brummte Amanon. »Aber es würde mich sehr wundern. Ich glaube eher, dass ihn die Goroner festgenommen haben, wenn ich mir so ansehe, was in der Stadt los ist.«
»Ein paar Kerle mit Krummschwertern sollen ihm Handschellen angelegt haben, nachdem zwanzig Züu es nicht geschafft haben, ihm mit ihren Dolchen beizukommen?«, entgegnete Keb.
»Cael war nicht mehr … Sein Anfall war sicher vorbei, als er die Herberge verließ. Sonst hätte er … das mit Niss zu Ende gebracht. Vermutlich schämt er sich jetzt in Grund und Boden. Ich bin davon ausgegangen, dass er in der Nähe der Herberge durch die Straßen irrt und nicht weiß, was er tun soll. Da dem nicht so ist, muss ihn jemand fortgebracht haben.«
»Vielleicht waren es auch nicht die Goroner, sondern jemand von der Dunklen Bruderschaft«, sagte Keb.
Nolan bedeutete ihm zu schweigen. Amanon war schon bedrückt genug, da musste Keb nicht auch noch Salz in die Wunde streuen.
»Da wären die Goroner wahrlich das kleinere Übel«, murmelte Amanon geistesabwesend.
»Und was machen wir jetzt?«, warf Bowbaq ein. »Schließlich können wir die Goroner nicht einfach fragen, ob sie heute einen Jungen aus Kaul festgenommen haben.«
»Nein, dann würden wir selbst im Kerker landen«, pflichtete ihm Zejabel bei. »Für die Goroner dürfte jeder Fremde ein möglicher Spitzel der Grauen Legion sein. Mir gefällt gar nicht, wie uns die Soldaten jedes Mal mustern, wenn sie an uns vorbeimarschieren.«
»Und dabei kämpfen wir gegen denselben Feind«, sagte Bowbaq mit einem Seufzer.
Nolan überlegte kurz, ob er den anderen von der Idee erzählen sollte, die ihm soeben gekommen war. Dann gab er sich einen Ruck. »Einer meiner ehemaligen Lehrer wohnt ganz in der Nähe. Er ist ein Priester des Großen Tempels und ein sehr einflussreicher Mann.
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