Die Kriegerin der Kelten
die anderen sollen doch von mir aus denken, was sie wollen.« Cygfa wischte sich ein Schmutzklümpchen aus dem Gesicht, verteilte dabei aber nur noch mehr Erde über ihre Wange. »Du aber sollst wissen, dass ich Valerius aus einem bestimmten Grund unterstütze. Ich bin nämlich der Ansicht, dass er genau der Mann ist, den die Götter für uns auserkoren haben. Im Augenblick ist er einfach der Beste, der uns für diese Aufgabe zur Verfügung steht. Immer vorausgesetzt, dass Breaca das Heer nicht vielleicht doch noch selbst anführen kann.«
Cygfas Blick ruhte auf ihrem Bruder. Bedächtig legte Cunomar die Beinschienen auf den Haufen mit den anderen Kleidungsstücken des Legionars. Ebenso bedächtig fragte er: »Aber ist er tatsächlich nur im Augenblick der Beste für diese Aufgabe?«
Sie kannten einander gut, die beiden Kinder Caradocs. Sie hatten in Rom gemeinsam dem Tod ins Auge gesehen, hatten nach Kaiser Claudius’ überraschender Begnadigung zwei Jahre des Exils durchlitten. Sie hatten gemeinsam die riskante Flucht quer durch Gallien erlebt und hatten Seite an Seite schließlich auch jenen schrecklichen Moment am Ufer des Feindeslandes durchstanden, als offensichtlich wurde, dass ihr Vater nurmehr ein gebrochener Mann war, der nicht mehr die Kraft besaß, in sein Heimatland zurückzukehren. Gemeinsam waren Cygfa und Cunomar nach Mona zurückgekehrt, hatten die Insel in ihren Herzen wieder zu einem neuen Zuhause wachsen lassen und hatten es dann abermals verlassen, um mit der Bodicea in den Osten zu reisen. Nur sie beide, Cygfa und Cunomar, wussten, was diese Erfahrungen sie beide gekostet hatten. Nur sie beide wussten, was es bedeutete, als Kinder eines Mannes zu kämpfen, der scheinbar von der ganzen Welt verehrt wurde. Nur sie wussten, wie es sich anfühlte, für ihre zuweilen unbequeme Art verurteilt zu werden; verurteilt von Menschen, die einfach nicht wussten, was sie beide alles schon erlitten und was diese Erlebnisse ihren Seelen angetan hatten.
Im vollen Bewusstsein all dessen entgegnete Cygfa schließlich leise: »Um ein Kriegsheer anzuführen, braucht es Mut. Und dennoch reicht das allein noch nicht aus. Jeder weiß, dass du den Mut dazu besäßest. Und wer daran noch irgendwelche Zweifel gehegt haben sollte, den hast du in den vergangenen beiden Tagen eindringlich eines Besseren belehrt. Aber ein Anführer behält stets auch die größeren Zusammenhänge im Auge. Und er vergisst nie, dass ein Menschenleben letztendlich doch noch mehr wert ist als selbst die größte Ehre. Ein echter Anführer hätte also niemals drei Dutzend Krieger darauf angesetzt, ganz allein ein römisches Nachtlager anzugreifen, während er jene dreitausend, die ebenfalls dringend etwas Kampferfahrung hätten sammeln müssen, einfach tatenlos zurücklässt. Andererseits... es ist nichts entschieden, noch ist Zeit. Breacas Heilung schreitet langsam, doch stetig voran. Hier, während unseres Angriffs auf die Neunte Legion, konnte sie uns noch nicht zur Seite stehen. Aber sie wird uns gegen Camulodunum führen. Und wer dann im Anschluss die Position des Heerführers einnimmt... nun, warten wir ab, was sich ergibt. Sollte ich bis dahin zu der Überzeugung gekommen sein, dass du uns nicht in irgendein heroisches Desaster führst, werde ich nicht mehr Valerius sondern dir meinen Treueeid schwören.«
Ein warmes Lächeln war über Cygfas Züge gehuscht, und aufmunternd drückte sie Cunomars Arm. Ihr Haar war ein wildes Durcheinander aus hellem Gold und dem Schmutz der Schlacht. Ihr Gesicht sah nicht wesentlich besser aus. Doch sie war seine Schwester, und das war wichtiger als alles andere.
Dann erhob Cygfa sich und entbot Cunomar den Kriegergruß. »Die Neunte Legion ist hiermit ausgelöscht. Jetzt steht uns der Weg nach Camulodunum frei. Wisse diesen Weg nun gut zu nutzen, kleiner Bruder. Dann, vielleicht, wirst doch noch du es sein und nicht Valerius, der das Heer in die entscheidende Schlacht gegen die Legionen führt.«
ZWEITER TEIL
Frühlingsende A. D. 60
XV
Die Neunte Römische Legion ist vernichtet. Im Osten ist der Schlangenspeer erwacht. Die Bodicea zieht gegen Rom, und die Götter führen ihr die Hand. Die Freiheit ist zum Greifen nahe. Tretet ein in unser Heer, und habt teil am Sieg ...
Wie ein Lauffeuer raste die verheißungsvolle Nachricht durch das Land, wurde von den Händlern verbreitet, die ihre Zugpferde zu noch größerer Eile antrieben, um die Ersten zu sein, die in den jeweiligen Siedlungen die frohe
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