Die Kriegerin der Kelten
wirklich nicht, warum irgendeiner von uns eigentlich noch versucht, etwas vor Euch geheim zu halten. Ja, ›sauer‹ wäre eine sehr vage und milde Umschreibung dessen, was Flavius empfindet. Und wenn er dächte, ich hätte Euch das verraten, würde er dafür sorgen, dass ich bei dem nächsten Geplänkel nach Einbruch der Dunkelheit und solange niemand beweisen könnte, dass es nicht der Feind war, sofort ein Messer in den Rücken bekäme. Und wenn er dächte, nicht ich hätte Euch das verraten, sondern Ihr hättet es selbst gemerkt, würde er Euch als Wahrsager kreuzigen lassen, wenn er es nur irgendwie schaffen könnte, die Sache so hinzubiegen. Ich persönlich habe nicht vor, ihm die Gelegenheit zu geben, mich hinterrücks zu erdolchen. Und Euch würde ich dringend vorschlagen, ihm keine Gelegenheit zu geben, mit dem Gouverneur über Euch zu sprechen.«
»Seit wir aus der Eceni-Siedlung geritten sind, hat er mir nicht mehr in die Augen gesehen oder auch nur ein freundliches Wort für mich übrig gehabt«, erklärte Corvus. »Davor war er genauso salbungsvoll wie jeder andere, der glaubt, es würde ihm eine Beförderung einbringen, wenn er sich unentbehrlich macht. Wenn ich also ein Wahrsager bin, nur weil mir Flavius’ Gebaren auffällt, haben wir hier eine ganze Armee von Wahrsagern, und die meisten von ihnen bekleiden einen hohen Rang. Gerade in der jetzigen Situation wäre das von großem Vorteil für uns, wie ich finde. Leider ist dem aber nicht so. Also, wollen wir reingehen und sehen, wie viele Kohlebecken der Gouverneur für unser Wohlergehen angezündet hat, und ob seine Hunde wieder mal die gesamte Wärme für sich beanspruchen?«
Nicht weniger als sieben Kohlebecken erwärmten den äußersten der drei Zelträume des Gouverneurs und machten die Luft stickig, sodass einem das Atmen schwerfiel. Ein Dutzend Talgfackeln standen im Raum verteilt und spendeten ein trübes, mildes Licht.
Achtzig Offiziere der verschiedensten Dienstgrade - vom Gouverneur selbst über die Unterfeldherrn, die Stabsoffiziere und Stabsunteroffiziere zweier Legionen und die Präfekten von vier Kavallerieflügeln bis hin zu den ihnen untergebenen Zenturionen und Adjutanten - traten vorsichtig um zwei schiefergraue Windhunde mit glattem, glänzendem Fell herum, die lang ausgestreckt auf dem Boden lagen, und zwar genau dort, wo die von den Kohlebecken ausströmende Hitze am angenehmsten war und die Binsenschicht am trockensten.
Auf einer Lagerstätte an der Wand saß ein halbwüchsiger Eingeborener mit Tätowierungen auf den Unterarmen, die - wie alle, die solche Symbole entziffern konnten, auf Anhieb erkannten - die Stammeszeichen der Atrebater waren, die am längsten treu zu Rom standen. Doch auch jene, die nichts über die Stämme und deren Beziehungen zu den Besatzern wussten, waren hingerissen von der Schönheit des Jungen.
Mittlerweile hatte sich herumgesprochen, dass der junge Hundeführer und seine beiden Tiere das Geschenk einiger dankbarer Stammesführer an ihren Gouverneur war, der, wie alle Welt wusste, leidenschaftlich gerne auf Hasenjagd ging. Über Paulinus’ andere Vorlieben waren die Stämme ganz zweifellos ebenfalls im Bilde, auch wenn seiner Ehefrau vielleicht noch nichts davon bekannt war.
Die Mitte des Zeltfußbodens wurde von einer aus Schlamm und Steinen nachempfundenen Landkarte beherrscht, die ein Viertel des restlichen, noch zum Stehen verfügbaren Platzes einnahm. Eingebettet in einen Rahmen aus hellem Eichenholz und mit Miniaturnachbildungen der Gebirgszüge und der See versehen, bestand die Geländekarte aus kleinen Heidekrautbüscheln, welche Wälder darstellen sollten, sowie aus Moospolstern zur Kennzeichnung von Wiesen, während eine mit winzigen Tonscherben bestreute Fläche die Meerenge zwischen dem Festland und Mona symbolisierte, wobei weißer Kreidesplitt den Bereich und Verlauf der gefährlichen Strömungen markierte, die bereits zahlreiche Opfer gefordert hatten.
Die Insel selbst bestand aus einem einzigen glatten, unbeschädigten Stein, der flach geschliffen war und mit eingeritzten Linien versehen, um die schmalen Buchten und Hafeneinfahrten entlang der Küste zu markieren. Das ganze Gebilde war aufgrund der Hitze im Raum schon lange ausgetrocknet; der Schlamm war hart und rissig geworden, und die Steine, welche die Berge darstellten, standen nicht länger senkrecht. Auch der würzige Duft nach Moos, Heidekraut und Erde hatte sich mittlerweile fast gänzlich verflüchtigt, was äußerst
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