Die Kriegerin der Kelten
Fels, dann über Kies und schließlich über Gras. Ursus blieb allerdings noch sehr viel länger am Strand, als Kälte oder Vernunft ratsam erscheinen ließen. Als er ging, waren die Muster der Wellen, die sich an den schroffen Klippen brachen, kein bisschen anders als in dem Moment, in dem er gekommen war, doch er fühlte sich ruhiger als zuvor und mehr im Einklang mit seiner eigenen Welt.
Als auch er sein Pferd schließlich wieder herumzog und im Schritt in die von Lärm und vorgetäuschtem Wagemut geprägte Atmosphäre des Küstenlagers zurückritt, stellte er fest, dass Flavius in der Zwischenzeit von seinem Krankenbett aufgestanden und ganz allein über unzureichend bewachte Pfade Richtung Küste geritten war, um zu den Männern zu gelangen, die ihn zurückgelassen hatten.
Ursus und er grüßten einander zwar so, wie man es von einem Dekurio und seinem Standartenträger erwarten würde, doch in ihrem Verhältnis hatte sich etwas verändert, und das spürten sie beide. Ursus grinste und ertappte sich dabei, wie er auch den gesamten restlichen Tag über unentwegt still vor sich hin grinste, und das trotz Kälte und Schneeregens und verschwommener, sich ständig verändernder Schatten, die aus dem Meer emporstiegen und die Männer derart in Angst und Schrecken versetzten, dass sie kreidebleich waren und an allen Gliedern zitterten. Um das Wunder noch größer zu machen, erlebte Ursus zum ersten Mal, seit sie in den Westen marschiert waren, wieder eine ruhige, friedliche Nacht ohne jegliche Albträume. Flavius hingegen kam erst ziemlich spät ins Zelt und war betrunken.
Irgendwann später, als bereits der neue Tag heraufzudämmern begann, kam Ursus, der wach auf seiner Pritsche lag und auf den unruhigen Schlaf all jener um ihn herum horchte, mit einem Male die Erkenntnis, wie nahe er daran gewesen war, sich seinen Standartenträger fürs ganze Leben zum Feind zu machen, und wie schwer es sein würde, wieder zu einem gewissen Gefühl der Sicherheit zurückzufinden. Genau genommen hätte er allen Grund gehabt, sich zu fürchten. Während er so dalag und gedankenverloren zum Dach seines Zelts emporstarrte und jene bestimmte Stelle beobachtete, wo die Regentropfen erst dick wurden, bevor sie schließlich hinunterrollten, um die Pfütze auf dem Boden zu vergrößern, wurde ihm bewusst, dass Flavius’ Feindschaft im Vergleich mit den namenlosen Gräueln der Träumer letztendlich immer noch das kleinere Übel war und dass er, wenn er seine gesamte Aufmerksamkeit auf Erstere konzentrierte, Letztere vergessen und somit endlich wieder zurück in den Schlaf finden könnte.
XVII
Im Militärkrankenhaus von Camulodunum war es so ruhig wie nie zuvor.
Nur drei der Betten waren belegt: zwei davon von Frauen, die nach ihrer Entbindung an Milchfieber litten, wobei die Erkrankung sich in beiden Fällen durch Angst sowie durch Nahrungsmangel infolge der seit nunmehr fünf Tagen währenden Belagerung noch verschlimmert hatte. In dem dritten Bett lag Peltrasius Maximus, ein schwatzhafter, querköpfiger Veteran der Zwanzigsten Legion, der unter Harngrieß litt.
Peltrasius war angewiesen worden, bei jeder Wache einen Krug Brunnenwasser zu trinken - Wasser war das Einzige, was noch immer reichlich vorhanden war -, und dies hatte natürlich dazu geführt, dass er nicht nur größere Mengen Harn produzierte, sondern auch sehr viel häufiger urinieren musste. Seine gellenden Schmerzensschreie, wenn die getreidekorngroßen Bröckchen Grieß die gesamte Länge seiner Harnröhre entlangwanderten, konnte man nicht nur überall im Krankenhaus, sondern sogar noch bis ins Theater und ins Forum hören.
In glücklicheren Zeiten hätten die Leute Peltrasius’ Leiden wahrscheinlich ins Lächerliche gezogen und es zu einem Schwank ausgebaut, sodass das Theater vom Elend des Mannes sogar noch hätte profitieren können. Jetzt jedoch, da der Rauch von tausend Feuern den Horizont verdunkelte und das Kriegsheer der Eceni gerüchteweise auf eine Stärke von mehreren zehntausend Mann angewachsen war, behaupteten die Leichtgläubigeren unter den Bewohnern - und dies galt sowohl für Veteranen als auch für Eingeborene -, sie hätten gehört, wie der Geist Cunobelins sich aus seinem Hügelgrab erhob, und ihn in den immer leerer werdenden Straßen der Hauptstadt umgehen sehen. Sie wollten einfach nicht glauben, dass das Schmerzensgeheul eines Sterblichen sich mitunter genauso anhören konnte wie die rachsüchtigen Seelen der Toten.
Nun war Peltrasius
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