Die Kriegerin der Kelten
Siedlung machte. Ohne Theophilus hätten wir das komplette Kriegsheer, kaum dass es sich zusammengefunden hatte, auch schon wieder verloren. Und die Eceni haben ihre Freunde niemals im Stich gelassen. Auch nicht in Kriegszeiten. Ich werde also bestimmt nicht diejenige sein, die nun damit anfängt.«
Langsam lernte Valerius, die Gedanken seiner Schwester mindestens ebenso klar zu lesen, wie auch sie die seinen erahnte. Seine Gesichtszüge wurden wieder etwas weicher. »Und willst du unbedingt allein dort reinmarschieren, oder dürfte dich vielleicht jemand begleiten?«
»Warum sonst bin ich wohl hier?« Breaca lächelte. Ein Lächeln, so unerwartet, dass es auch sie selbst überraschte. »Solltest du mir damit nun also deine Begleitung anbieten, würde ich dieses Angebot sehr gerne annehmen.«
XVI
Von einer Nacht auf die andere entfaltete der Schlehdorn seine Knospen.
Wie weiße Tupfer muteten seine Blüten in der Landschaft an, so sporadisch verstreut wie einzelne Häufchen alten Schnees inmitten der braunen Schmelze des Frühlings. Das Heidekraut hingegen schlummerte noch, auch der Adlerfarn hatte seine grünen Wedel noch nicht entrollt. Und die Berge des Westens bildeten Barrieren aus Schlamm und schroffem, hoch aufragendem Felsgestein, aufgetürmt von einem launischen Kindgott, um die Legionen von Mona fernzuhalten und von all jenen, die auf der Insel Zuflucht gesucht hatten.
Das war die angenehme, die unbeschwerte Art, die Dinge zu sehen. Die Sichtweise, die nicht zu jenen lähmenden Albträumen und Schreckensvisionen im Wachzustand führte, welche die römischen Truppen ebenso wirkungsvoll schwächten, wie es die Zeloten der Republik getan hatten, und einen von zehn Männern so nutzlos und unbrauchbar machten, als ob er bereits tot wäre.
In Wahrheit hatte die Angst, die unter den Legionssoldaten umging, jedoch weit mehr als einen von zehn außer Gefecht gesetzt.
Quintus Valerius Corvus, Präfekt des Fünften Gallischen Kavallerieflügels, saß in der relativen Ruhe seines Zelts an seinem Schreibtisch und horchte mit einem Ohr auf den Wind, der durch die Zeltschnüre pfiff, während er inständig wünschte, er könnte in dem Heulen ein paar tröstliche Worte ausmachen - Worte, welche die detaillierte Liste von Ausfällen unter den Mannschaften, die ihm gerade von Ursus, dem Dekurio der zweiten Truppe, vorgetragen wurde, löschen würde.
»... und Flavius leidet unter so schlimmem Dünnpfiff, dass er es kaum schafft, von der Latrine hochzukommen und Wasser zu trinken, bevor er sich auch schon wieder hinsetzen muss, damit das Zeug schnurstracks am anderen Ende wieder rauslaufen kann. Sabinius sagt, die Beschwerden sind alle rein seelisch bedingt, mit dem Essen oder dem Trinkwasser ist nämlich alles in Ordnung, und am Wetter liegt es auch nicht. Die Männer haben ganz einfach nur fürchterlichen Schiss vor den Träumern und vor dem, was sie denjenigen antun, die sie lebend zu fassen kriegen. Sabinius selbst geht es übrigens gut.«
»Das will ich aber auch stark hoffen. Schließlich lebt er schon lange genug in Britannien, um zu wissen, dass die Träumer nichts tun, was wir nicht auch tun würden. Und sie haben im Gegensatz zu uns noch nie jemanden gekreuzigt oder nur den Versuch dazu unternommen.«
Während seiner Unterhaltung mit Ursus ließ Corvus unablässig ein Messer zwischen seinen Händen rotieren. Die Spitze der Klinge hatte bereits eine kleine, sich rötlich verfärbende Delle in seinem linken Zeigefinger hinterlassen. Das Heft des Messers bestand aus dem in Bronze gegossenen Kopf eines Falken. Kühl und glatt schmiegte er sich in Corvus’ Handfläche, ein Talisman gegen angeschlagene Nerven und das unaufhörliche, demoralisierende Heulen des Windes.
»Was entscheidend ist, ist die Frage, wie viele Männer letztendlich kampftauglich sind. Bei einer Truppenstärke von fünfhundert Mann haben wir allerhöchstens dreihundertundvierzig, die überhaupt in der Lage wären, auf einem Pferd zu sitzen, und mindestens dreißig von denen wären im Kampf eher eine Gefahr für sich selbst als für den Feind. Es sind einfach nicht genug für einen Angriff.«
»Es sind in jedem Fall genug, wenn wir auch weiterhin nichts anderes tun, als hier herumzuhocken und zuzuschauen, wie das Heidekraut auf den Berghängen zu blühen anfängt, während der Gouverneur seinen Bestand an Wurfspießen zählt und den Batavern einzureden versucht, dass schon ihre Urururgroßväter einst in voller Rüstung den Rhein
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