Die Kriegerin der Kelten
durchschwammen, sodass die Meerenge überhaupt keine Schwierigkeit für sie darstellen wird.«
Ursus schob das Kinn vor, wohl in dem Bestreben, herausfordernd zu wirken, was ihm jedoch wie immer nicht sonderlich überzeugend gelang. An einer Stelle an seinem Ohr, neben der sein Helmriemen verlief, waren die verschorften Kratzwunden von alten Flohbissen zu sehen. Er hatte dringend eine Rasur nötig, aber das galt im Grunde für fast alle Männer, und die Einzigen, die keine Flöhe hatten, waren diejenigen, die bereits tot waren. Ursus war einfach nur nüchterner und bodenständiger als der Rest von seinesgleichen und gab nicht so viel auf Äußerlichkeiten. Und an den meisten Tagen war diese innere Gelassenheit durchaus von Vorteil.
Corvus seufzte und legte sein Messer seitlich auf das Schreibtablett, auf dem er seine Notizen gemacht hatte, dann schob er seinen Schreibgriffel als Keil darunter, um zu verhindern, dass es vom Tisch hinunterrollte. Nichts hier war wirklich eben, abgesehen vom Zelt des Gouverneurs. Einer der wenigen Vorzüge, die sein Rang in sich vereinte, war, dass sein Tisch zumindest waagerecht genug stand, um einen halbvollen Becher Wein darauf balancieren zu können, ohne dass dieser umkippte und seinen Inhalt in den Morast ergoss.
Ursus wartete noch immer auf eine Reaktion von Corvus, während er sein Bestes tat, um entspannt und unbefangen zu erscheinen. In mildem Ton schalt Corvus ihn: »Das ist Verrat. Ich sollte dich zur Strafe vor dem gesamten Flügel auspeitschen lassen. Bloß weil du den von den Träumern gesandten Albträumen entronnen bist, besteht noch lange kein Grund, uns nun eine Portion von den Horrorvorstellungen aufzutischen, die es nur in Rom gibt. Was bildest du dir ein...«
»Also sind es die Träumer? Dann glaubt Ihr auch, was Sabinius sagt: dass die Träumer hinter dieser ganzen Sache stecken?«
»Natürlich stecken sie dahinter. Ich kann förmlich fühlen, wie sie am Werke sind. Die Frage ist bloß, was sie sonst noch alles für uns in petto haben, wenn wir anfangen, gegen die Insel vorzurücken. Nun glotz mich nicht so an, Mann, das ist ungesund! Überleg doch mal: Wenn du gerade friedlich von den Olivenhainen träumst, die du noch von deiner Kindheit her in Erinnerung hast, und plötzlich fangen die Bäume an zu laufen, und in der Rinde werden menschliche Fratzen sichtbar, und sie alle sprechen wie mit einer einzigen Stimme von dem grauenvollen Unheil, das dich in dem Moment erwartet, in dem du aufwachst, und wenn das vier Nächte hintereinander ohne Unterbrechung passiert, kannst du dir ja wohl ziemlich sicher sein, dass dieser Spuk etwas ist, was von außen kommt. Der Trick besteht darin, dass man lernt, mit den sprechenden Bäumen Freundschaft zu schließen. Und genau das hätten wir auch mit den Träumern tun sollen, dann müssten wir uns jetzt nicht damit herumschlagen, dass die Hälfte unserer Leute außer Gefecht gesetzt ist. So, und nun komm, wir sollen uns beim Gouverneur einfinden. Und frag ihn bloß nicht, wann wir endlich angreifen werden. Das gehört zurzeit sicherlich nicht zu seinen Lieblingsthemen.«
Corvus hob die Zeltklappe hoch. Draußen hatte es wieder zu regnen begonnen, ein Regen, der im Begriff war, in Eisregen überzugehen. Der Präfekt nahm seinen Umhang von der Bank und zog ihn ganz fest um seine Schultern. Neben ihm hüllte Ursus sich in einen schütteren, schlecht gegerbten Wolfspelz, den er vor gut zehn Jahren einmal für eine Silbermünze von einem dakischen Händler erstanden hatte. Das Ding stank und brachte ihm nicht unbedingt Freunde ein, doch es war drei Jahre lang sein Glücksbringer gewesen, bis ihn eine erfolgreich geschlagene Schlacht davon überzeugt hatte, dass er das Fell nicht mehr brauchte. Dass Ursus den räudigen alten Pelz jetzt mit einem Mal wieder ausgegraben hatte, verhieß also nichts Gutes.
Seite an Seite stapften die beiden Männer durch Matsch und strömenden Regen in Richtung des Zeltpavillons des Gouverneurs. Auf halbem Weg dorthin, als sie so weit wie möglich von sämtlichen Zelten entfernt waren und die Gefahr, belauscht zu werden, am geringsten war, fragte Corvus ganz unvermittelt: »Ist Flavius eigentlich noch immer sauer wegen dieser Sache, die mit dem Prokurator passiert ist?«
Zu Ursus’ Anerkennung musste gesagt werden, dass er sich trotz des Schrecks, der ihm bei dieser Frage durch die Glieder fuhr, nicht aus dem Tritt bringen ließ. Er sog nur scharf den Atem ein und schüttelte den Kopf. »Ich weiß
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