Die Kriegerin der Kelten
der Wahrheit entsprachen.
Noch reichte das Licht nicht aus, um deutlich sehen zu können. Allein und umfangen von einer Art stillen Friedens lag Graine bäuchlings in das raue Gras geschmiegt, lauschte dem gedämpften Rauschen, mit dem die Wellen bei ihrer Ankunft auf dem Kies auszuatmen schienen. Tief sog Graine die nunmehr sanfte Energie des Meeres in sich ein, während die Morgendämmerung der Welt wieder Farbe verlieh.
Aus dem Grau lösten sich erste scharfe Konturen. Schließlich konnte sie sogar das von Entenmuscheln überzogene Holz des Schiffsanlegers der Insel erkennen, der nur einen Speerwurf entfernt zu ihrer Rechten lag. Eine Weile lang schaffte Graine es noch, sich allein auf den Seenebel und das dahinter ruhende, eisengraue Wesen des Meeres zu konzentrieren, schaffte es, bei ihrer Erinnerung daran zu verweilen, wie sie Mona zu Zeiten ihrer Kindheit erlebt hatte. Sicherlich, auch damals war die Insel kein Ort des reinen Friedens gewesen, denn die Krieger, die Mona zu ihrem Zuhause erkoren hatten, hatten auch damals schon den schier nicht enden wollenden Kampf gegen Rom geführt, sodass Graine genau genommen noch nie erfahren hatte, was wirklicher Frieden bedeutete... Und dennoch war diese Insel für sie stets ein Ort der Zuflucht gewesen, ein Platz, der vor jeglicher Bedrohung geschützt schien.
Nun aber war auch Mona nicht mehr sicher.
Das Meer verwandelte sich in einen wahren Ozean blinder Spiegel, die gierig das Morgenlicht einzufangen schienen, um es dann wieder und wieder, hoch und höher zurück in die Wolken zu schleudern. Unmittelbar über den kleinen Wellenkämmen jagten zwei Austernfischer über das Wasser, strebten geradewegs auf Graine zu, um dann abrupt wieder abzudrehen und schließlich mit lautem, warnendem Kreischen in Richtung Norden und auf das offene Meer hinauszufliehen. Graine hatte aufmerksam die Fluglinie der beiden Tiere beobachtet und stellte nun fest, dass der Fähranleger auf der anderen Seite der Meerenge, der eigentlich ein gutes Stück ins Wasser hätte hineinragen sollen, um einlaufenden Booten einen Landeplatz auf dem Festland zu bieten, verschwunden war. Dort, wo einst der Anlegesteg gewesen war, ragten jetzt nur noch schwarz angesengte Klippen empor, und auf den leise plätschernden Wellen tanzten noch immer Bruchstücke von verkohlten Holzbohlen.
Die verbrannten Überreste, die zwischen Fels und Nebel eingebettet lagen, vermittelten einen seltsamen Eindruck von Ruhe. Doch auch einige scharfe, gerade Linien waren mittlerweile zwischen den sich hoch auftürmenden Klippen zu erkennen. Aus den Enden dieser Linien erwuchsen rechte Winkel, und, viel zu rasch, enthüllte das zunehmend heller werdende Licht die Silhouetten von Dollborden und Schiffsnasen, und Graine erkannte, was Bellos schon vor einiger Zeit beschrieben hatte: Dutzende von Flachbodenkähnen waren Bug an Heck hintereinander vertäut worden und dümpelten nun auf den seichten Wellen. Die Boote schienen wie Perlen, die irgendjemand auf eine lange Schnur gezogen und dann aufgespannt hatte, um einem kleinen Kind als Spielzeug zu dienen. Hinter diesen Booten wiederum ragten die Zelte der Legionare auf. Und die drängten sich nicht nur dicht an dicht entlang des Strandes, sondern erstreckten sich bis weit in die Heide und das Farndickicht auf den unteren Berghängen hinein. Graine konnte Zelte ausmachen und Pavillons, Maultiere und Pferde, Latrinengräben und die flachen Lagerhäuser der Quartiermeister, um die herum man eine Handvoll Kettenhunde angebunden hatte, damit diese die Vorräte vor den Ratten schützten. Vor der Meerenge von Mona lagerten nicht weniger als zwei komplette Legionen der römischen Armee und vier ihrer Kavallerieflügel. Noch dichter aber als das feindliche Hauptlager hatten sich zwei kleine Gruppen von Zelten an das Meeresufer gedrängt, scharten sich gemeinsam mit zwei voneinander getrennten Pferdepferchen um den von Flammen zerfressenen Stumpf des Festlandanlegers, während über ihnen stolz zwei verschiedene Kavalleriebanner im Wind flatterten.
Graine brauchte die Zelte nicht zu zählen, um ziemlich genau abschätzen zu können, wie viele Männer dort lagerten. Sie war aufgewachsen in einer Welt, in der ihr die Standarten und Banner Roms sowie die Anzahl der Soldaten, die unter diesen üblicherweise dienten, mindestens ebenso vertraut waren wie die Traumsymbole ihres eigenen Volkes. Wenn man diese Wimpel, Fahnen und Standarten nun alle zusammennahm, so kam man auf eine Zahl von rund
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