Die Kriegerin der Kelten
vielleicht kann Luain deshalb nicht mehr in meine Träume eindringen, weil ich selbst nicht mehr träumen kann.«
»Vielleicht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass im Moment selbst die Götter nicht wissen, was aus deiner Gabe eines Tages noch einmal werden könnte, was aus dir womöglich noch werden könnte oder auch nicht. Wir, die wir hier auf Mona leben, sind noch immer der Ansicht, dass du dem tanzenden Stein in diesem Brettspiel gleichst. Ich glaube, das Spiel heißt Kriegertanz. Jedenfalls meine ich jenen Spielstein, der ungehindert und ungesehen vom einen Ende des Spielbretts zum anderen eilen kann und der somit manchmal über das gesamte Spiel entscheidet. Und sollten wir in dieser Annahme recht haben, könnten wir zusammen Mona vielleicht immer noch retten.«
Mit einem Mal schien die Morgenbrise schneidend kalt, und die feine Gischt auf Graines Gesicht schmerzte regelrecht. Abrupt setzte sie sich auf und schlang die Arme um ihre Knie. Ihr war übel. »Und was, wenn ihr euch irrt?«
Bellos saß weiterhin reglos und entspannt neben ihr, und noch immer spielte ein feines Lächeln über seine Züge. Er starrte hinaus über das Wasser, das er nicht sehen konnte, die blinden Augen auf das römische Lager jenseits der Meerenge gerichtet, in dem mittlerweile hektische Betriebsamkeit zu herrschen schien, schürzte die Lippen und dachte nach. »Dann haben wir immer noch zweitausend Träumer, die den Legionaren den Verstand vernebeln können.
Und wenn auch die Träumer versagen sollten, werden wir schließlich doch noch gegen die Römer kämpfen müssen. Und genau zu diesem Zweck befinden sich fünfhundert Krieger auf dieser Insel.«
»Fünfhundert Krieger gegen achttausend Legionare und genügend Lastschiffe, um damit einen geschlossenen Kreis rund um Mona ziehen zu können? Das ist doch Wahnsinn.«
»Vielleicht. Ich dagegen halte mich lieber an die Sichtweise, dass es ganz einfach das Pragmatischste ist, was wir in unserer gegenwärtigen Situation tun können. Wir kennen unsere Insel, und wir haben auch keine Angst vor irgendwelchen Albträumen. Achttausend von Angst gepeinigte Männer können sich hier ganz schnell selbst verlieren. Und zuvor müssten sie ja auch erst einmal einen Platz finden, wo sie mit ihren Booten anlanden können. Und davor wiederum müssen die Legionen das Kunststück vollbringen, überhaupt erst einmal ausreichend Männer zu finden, die bereit sind, hier an Land zu gehen.« Bellos sprach, als ob er mit seinen Gedanken in Wahrheit ganz woanders wäre. Offenbar dachte er nicht mehr länger über Graine und ihre Sorgen nach. »Aber ich vermute mal, all das werden wir bald herausfinden. Und sollte ich mich dennoch irren, bliebe dir ja immer noch genügend Zeit, mich mit meiner Fehleinschätzung aufzuziehen. Was meinst du, ob sie sich wohl gerade dazu bereitmachen, zu ihren Schiffen zu marschieren?«
Graine folgte seinem Blick und erkannte, dass in das chaotische Durcheinander des Morgens etwas mehr Struktur und Ordnung einzukehren schien. Das Legionarslager am Fuße der Berge organisierte sich zu einem Angriffskommando. Genau in dem Moment, in dem Graine den Mund öffnete, um auf Bellos’ Frage zu antworten, ertönte der blecherne Klang einer Trompete, mit dem die Soldaten zum Appell gerufen wurden. Verzerrt schallte das Signal über die Meerenge hinüber.
Wieder schürzte Bellos die Lippen und stieß durch die Zähne ein kleines weißes Atemwölkchen in die kalte Luft.
»Dann hatte mac Calma also doch recht. Der Angriff findet heute statt.« Er erhob sich, streckte Graine beide Hände entgegen und starrte auf einen fernen Punkt irgendwo über ihrem Kopf. »Wenn ich dir nun anbieten würde, dir beim Aufstehen zu helfen, würdest du mir dann helfen, zurück zum Großen Versammlungshaus zu finden? Ich könnte den Weg auch allein gehen, aber mit ein wenig Hilfe wäre ich doch wesentlich schneller. Und ich glaube, heute können wir uns den Luxus zu bummeln leider nicht leisten. Heute können wir uns nicht an kleinen Birkenrindenstückchen orientieren oder an Flechten, die über Steine wachsen, um eine ungefähre Ahnung davon zu bekommen, in welche Richtung wir wohl laufen müssen.«
Genauso wie die Männer im römischen Feldlager erhoben sich auch die Krieger von Mona sowie die fünfhundert Träumer, die im Inneren und in der Nähe des Großen Versammlungshauses geschlafen hatten. Sie standen auf, um einem grauen und nur langsam an Licht gewinnenden Morgen entgegenzublicken, der
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