Die Kriegerin der Kelten
bürgen. Im Übrigen war er mit der Cormorant auch allein auf Graines Wunsch hin bereits einen guten halben Mond eher in See gestochen, als dies eigentlich anzuraten gewesen wäre. Schließlich hatte Gunovar noch eine Art Geschirr aus Seilen geknüpft und es mitsamt Graine an der Bugreling befestigt, sodass diese, selbst wenn sie den Halt verlieren sollte, nicht über Bord gerissen werden könnte. Endlich hatten selbst Graines Weggefährten es aufgegeben, sie unter Deck locken zu wollen, und hatten ihr stattdessen ihre Mahlzeiten nach oben gebracht und sie erst dann gebeten, zum Schlafen in die Kabine zu kommen, wenn die Nacht am finstersten war. In der letzten Nacht aber, als sie sahen, dass der Sturm, der über ihren Köpfen gewütet hatte, langsam nachließ, hatten sie noch nicht einmal mehr das versucht und Graine einfach an Deck schlafen lassen.
Ein neuer Morgen war heraufgedämmert, und als sie das Beiboot zu Wasser gelassen hatten und an das Ufer Monas gerudert waren, war der Wind schließlich gänzlich abgeflaut. Die weißen Mähnen, mit denen die Wellenkämme durch die Nacht gebraust waren, waren kürzer und kürzer geworden, bis sie schließlich mit dem grünen Meer verschmolzen, das nurmehr träge plätschernd die Klippen an der Landspitze mit nassen Küssen begrüßte.
Das Szenario ihrer Ankunft auf Mona war um so vieles leiser gewesen als die Überfahrt - eine Enttäuschung, wenn man es denn so betrachten wollte. Doch diese Enttäuschung hatte auch ihr Gutes, denn wäre Graine geradewegs aus der ungezügelten Freude, die ihr die Überfahrt zuletzt bereitet hatte, in die Einsamkeit des verlassenen Großen Versammlungshauses getreten, und hätte sie, berauscht von der Reise, plötzlich die hohle Leere der unbewohnten Siedlung gespürt, so wäre der Verlust all dessen, was Mona einst gewesen war, ihr sicherlich noch grausamer bewusst geworden als ohnehin schon.
Trotz Graines unspektakulärer Ankunft auf der Insel ihrer Geburt aber hatten die gut fünfhundert Krieger, die ausgewählt worden waren, um auf Mona auszuharren, der Tochter der Bodicea einen würdevollen Empfang bereitet, sodass diese gar nicht darum herumgekommen war, sie alle der Reihe nach zu begrüßen, sich ihre Namen einzuprägen und ihren Geschichten zu lauschen und sich jene besonderen Stellen im Dachgebälk des Großen Versammlungshauses anzusehen, wo ihre Traumsymbole eingeritzt waren. Es war also bereits wieder dunkel geworden, als Graine endlich die Zeit gefunden hatte, einmal nach Bellos zu schauen, jenem jungen Mann mit dem weizenblonden Schopf und den Augen eines Gottes, dessen Traum sie, Graine, wieder nach Hause gerufen hatte. Im Gegensatz zu den anderen hatte er aber weder eine Bemerkung über ihre Verletzungen gemacht, noch hatte er so getan, als würde er sie nicht wahrnehmen. Bellos schwieg einfach nur, denn er hatte Graine ja bereits in ihrem gemeinsamen Traum getroffen und wusste darum, wie es um die Tochter der Bodicea bestellt war. Graine war sehr erleichtert gewesen über die ungezwungene Art, mit der er sie behandelte, sodass sie den gesamten Rest des noch verbleibenden Abends bei Bellos verbracht hatte.
Gemeinsam hatten sie am Feuer gesessen, hatten Malzgerste und sahnige Dickmilch von einem erstgebärenden Mutterschaf genossen. Erst da hatte Graine plötzlich begriffen, dass Bellos blind war. Später dann, als sie in der Dunkelheit lag und schon halb eingeschlafen war, erkannte sie, dass Valerius selbstverständlich von Bellos’ Blindheit gewusst haben musste, ihr aber offenbar ganz gezielt nichts davon hatte sagen wollen, sondern es ihr überlassen hatte, dies selbst herauszufinden. Während sie in Gedanken noch bei der Frage verharrte, warum Valerius dies wohl so beschlossen hatte, war Graine schließlich eingeschlafen.
Im Traum hatte sie die Antwort gehört, doch als sie aufgewacht war, hatte sie sich an nichts mehr erinnern können. Die Frustration über den Verlust dieses Traums und die schmerzende Leere, die in der einst vor Leben regelrecht pulsierenden Siedlung herrschte, hatten schließlich so schwer auf Graine gelastet, dass sie aus ihrem Nachtlager geflüchtet war. Sie war den Pfad zum Kiesstrand hinuntergelaufen, wo sie nun flach auf dem Boden lag, in der Hoffnung, dass keiner sie entdecken würde. Im Geiste versuchte sie, die zahlreichen Erzählungen zu ordnen, in denen man ihr den Ablauf der Invasion Roms auf Mona bereits prophezeit hatte. Sie versuchte, zu erahnen, ob diese Geschichten wirklich alle
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