Die Kriegerin der Kelten
den schäumenden kleinen Wellen und ihrer, Graines, ganz persönlicher Hochwassermarke, jener Stelle, die nur knapp eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt lag und an die der während der vergangenen drei Tage wütende Sturm einen zerrissenen Halbmond aus Blasentang angetrieben hatte. Zwischen den Algen und Tangfetzen lagen von der See gebleichtes Treibholz und transparente Quallen, die im Inneren ihrer Leiber blassrote Sterne zu tragen schienen. Und diese Hochwassermarke lag nun bereits ein gutes Stück oberhalb des restlichen Treibguts, das sich am Strand angesammelt hatte.
Breacas Tochter maß die Zeit, die verstrich, in Wellen. Dazwischen aber, zwischen den Wogen, herrschte keine Zeit, sondern allein tiefer Frieden. Der durchdringende Duft der See, vermischt mit dem Geruch nach vermoderndem Seetang, drang in Graines Haut ein, schlich sich in ihr rotes Haar, lag reif auf ihrer Zunge und ließ ihre Lungen sich weiten, sodass schließlich auch längst vergessene Erinnerungen wieder hervorgelockt wurden. Erinnerungen an die Zeit davor , als Graine noch auf Mona gelebt hatte, als sie noch heil und unversehrt gewesen war und die Welt sicher schien, als ihre Mutter noch die Geliebte Brigas gewesen war, eine Kriegerin, der niemand das Wasser zu reichen vermochte und die als unbesiegbar galt. Damals, als Rom bloß ein ferner, gesichtsloser Feind gewesen war, der durch die überwältigende Macht der Bodicea und der Götter irgendwann zweifellos besiegt sein würde. Damals, als die Tochter der Bodicea der Göttin Nemain diente und noch kein Schmerz sich in ihren Körper eingefressen hatte. Ein Schmerz, der jede einzelne Faser zu durchdringen schien, ausgelöst durch die brutale Schändung durch schier unzählige Männer.
Und dennoch war der Schmerz nun nicht mehr ganz so verzehrend wie zu Anfang. Denn die See hatte während Graines Überfahrt einen Teil von deren Qual geschluckt, eine Erfahrung, die Graine selbst überrascht hatte. Doch auch das Gefühl der Freiheit und die euphorische Stimmung, die das Meer in ihr hervorgekitzelt hatte, waren ganz unerwartet über sie gekommen. Sie hatte gar nicht gewusst, um wie viel lieber sie vorn im Bug eines durch die Wogen pflügenden Schiffes stand, als auf einem Pferd zu reiten, selbst wenn es das ruhigste und gehorsamste aller Pferde gewesen wäre, die jemals geboren wurden. Niemals würde sie ein Pferd einem Boot vorziehen. All dies war ihr aber erst bewusst geworden, als sie an Bord des Schiffes gegangen war, das Luain mac Calma ausgeschickt hatte, um sie zu holen. Die Reise von dem fernen südwestlichen Zipfel Britanniens hinüber zur südwestlichen Spitze der Insel Mona hatte drei ganze Tage gedauert. Die letzten beiden Tage hatte die Besatzung stets hart gegen den Sturm kreuzen müssen. Jeder der gegen die Bordwände krachenden Brecher war in Graines Augen eine mindestens ebenso große und ebenso wundersame Herausforderung gewesen wie die Kriegerprüfungen ihrer Schwester und ihres Bruders. Denn diese Wellen hatten die Tränen und Wunden von Graines Körper nach und nach zu einem Nichts verblassen lassen, hatten ihr gezeigt, wie winzig die Verletzungen doch waren, die sie hatte erleiden müssen, verglichen mit der unermesslichen und alles zermalmenden Macht der Götter.
Zuerst hatte Graine ganz still gestanden, hatte einfach nur versucht, der geballten Kraft des Meeres ohne allzu große Angst entgegenzublicken. Was die Wogen ihr entgegenspuckten, das nahm sie an, schweigend, wenngleich es sie eine ungeheure Kraft kostete. Später dann, durchgefroren und wie betäubt und zugleich belebt von neuem Mut, lernte sie, sich zu wehren, zu schreien und der Macht der See entgegenzubrüllen.
Gefangen in dem Verlangen, sich zu befreien, hatte sie jeden Augenblick des Tages und gut die Hälfte einer jeden Nacht auf dem Vorderdeck der Cormorant ausgeharrt, hatte sich im Licht der Fackeln an die Bugreling geklammert und in den Schlund jenes Sturmes hineingebrüllt, den Manannan ausgesandt hatte, um die Insel der Götter vor der Invasion Roms zu schützen. Eisig war Graine die See auf die Hände und ins Gesicht gespritzt, bis ihre Haut sich rötete und langsam vom Fleisch abpellte, bis ihr ochsenblutrotes Haar seinen Glanz verlor und von einer harten, grauen Salzkruste überzogen wurde.
Hawk und Dubornos hatten sie unter Deck und in Sicherheit bringen wollen. Segoventos aber, der alte Gallier, dem das Schiff gehörte, hatte versprochen, für Graines Leben mit seinem eigenen zu
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