Die Kriegerin der Kelten
suchen. Doch obwohl er nicht sehen konnte, war er auf der Suche nach Graine vom Großen Versammlungshaus aus losmarschiert und ohne Umwege den Strand hinabgewandert.
»Wie gut kennst du diese Insel eigentlich?«, wollte Graine wissen.
»Gut genug, um mich halbwegs zurechtzufinden.«
»Ist das der Grund, warum du Mona noch nicht verlassen hast? Weil Hibernia ein vollkommen neuer Ort für dich wäre und es dir sicherlich nicht leicht fallen würde, die große Insel genauso gut kennenzulernen wie Mona?« Graine stellte ihre Frage geradeheraus und frei von jeglichem falschen Mitleid. Aber andererseits war es auch nicht ihre Absicht gewesen, sonderlich behutsam mit Bellos umzugehen. An dem Tag, als sie erkannt hatte, wie frustrierend es war, wenn andere versuchten, einen mit Rücksicht auf die Qualen, die man hatte erleiden müssen, besonders vorsichtig zu behandeln, an diesem Tag hatte sie auch aufgehört, andere Mitmenschen, die vielleicht Ähnliches hatten erdulden müssen, in irgendeiner Weise behutsamer zu behandeln als den Rest der Welt. Dennoch hielt sie in diesem Augenblick gespannt den Atem an und lauschte auf Bellos’ Antwort, um zu sehen, ob sie mit ihrer forschen Art vielleicht eine Grenze überschritten hatte, die zuvor keinem von ihnen beiden bewusst gewesen war.
Bellos jedoch lächelte bloß gelassen, ja, geradezu friedlich. So, wie überhaupt sein ganzes Wesen friedlich zu sein schien. Nachdenklich entgegnete er: »Nachdem Valerius mich aus der Sklaverei in Gallien befreit hatte, habe ich zwei Jahre mit ihm auf Hibernia gelebt. Die Insel wäre also nicht völlig fremd für mich. Andererseits jedoch war sie mir natürlich auch nie so vertraut wie Mona. Und auch die Krieger wären selbstverständlich hiergeblieben, um die Insel gegen die Römer zu verteidigen - wenn man es ihnen denn erlaubt hätte. Letztendlich aber durften nur fünfhundert von ihnen bleiben. Der Rest wird anderenorts dringender gebraucht. Luain mac Calma ist der Vorsitzende des Ältestenrats von Mona. Er entscheidet, wer kommen darf und wer geht, und die Einzigen, mit denen er sich über diese Fragen berät, sind Nemain und die restliche Götterwelt. Wir dagegen werden nicht in die Gründe für seine Entscheidungen eingeweiht. In jedem Fall hatte er mich gebeten, dass ich hier auf Mona bleiben solle. Hätte er wiederum von mir verlangt, dass ich nach Hibernia übersiedeln müsste, hätte ich selbstverständlich schon vor langer Zeit gemeinsam mit den anderen das Schiff bestiegen, egal, wie schwer mir das auch gefallen wäre.«
»Dann war es also auch Luain, der dich gebeten hatte, uns nach Mona zurückzurufen?«
» Dich zurückzurufen. Ich habe nur dich gerufen. Die anderen sind aus eigenem Willen mitgekommen. Und vielleicht werden sie, um ihrer eigenen Sicherheit willen, auch wieder von Mona fortgeschickt. Sieh mich jetzt bitte nicht so vorwurfsvoll an. Ich werde dir deine Frage schon noch beantworten - bin ja gerade dabei. Nein, mac Calma hatte mich nicht gebeten, dich zu rufen. Aber als es dann passiert war, hat er mir auch nicht befohlen, das wieder rückgängig zu machen. Er kann nicht mehr in deine Träume eintreten.«
Er kann nicht mehr in deine Träume eintreten... Früher einmal hatte Airmid von Graines Geburt geträumt, und Luain mac Calma hatte vorausgesehen, dass Breacas Tochter einmal einen Platz im Ältestenrat einnehmen würde. Graine hatte also stets die Hoffnung gehabt, dass mit ihrer Rückkehr nach Mona auch ihr Leben sich wieder in jene Richtung entwickeln würde, wie es einst für sie prophezeit worden war. Diesen Gedanken hatte sie nie ganz aufgegeben, noch nicht einmal in der leisen Trauer, die sich am Morgen über sie gelegt hatte, nachdem sie die Erinnerung an ihren Traum aus der vergangenen Nacht verlor.
Abermals ertönte der Schrei der Austernfischer, jedoch aus weiter Ferne. Und erneut rauschte eine Welle heran, die siebte Welle, nach Graines Rechnung. Sie rollte dichter zu dem Strandgut hinauf als irgendeine Welle vor ihr. Im Kavallerielager auf der anderen Seite der Meerenge trat ein schlanker Mann aus seinem Zelt. Auf dem Kopf wuchs sein schwarzes Haar zwar nur noch spärlich, dafür aber umso dichter auf seinem nackten Oberkörper. Er gähnte herzhaft und reckte beide Arme empor, um den grauen Morgen zu begrüßen.
Es fiel Graine nicht leicht, den Mann anzusehen. Doch auch Bellos’ Anblick erfüllte sie mit leisem Schmerz, sodass sie schließlich auf den Kiesstrand schaute und entgegnete: »Nun ja,
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