Die Kriegerin der Kelten
jemals zuvor vermocht hatte.
Der Schmerz in seinem Herzen, den er jahrelang versucht hatte zu ignorieren, nahm ein geradezu überwältigendes Ausmaß an. Nur unter größter Anstrengung konnte er sich dazu zwingen, den Kopf zu heben und den Blick auf jene fein geschwungenen Brauen und die hohen, aristokratischen Wangenknochen zu lenken, die dort vor ihm schwebten, auf die dominante, gerade Nase und das lange, glatte schwarze Haar, das nun von feinen Silberfäden durchzogen war, etwas, was Corvus bei Valerius noch niemals zuvor gesehen hatte. Und er las in dem schönen Gesicht Valerius’ Emotionen, las, was dieser im Augenblick empfand, erkannte, was dieser verdrängt hatte, und Corvus liebte dies alles von ganzem Herzen.
»Du bist älter geworden, als ich erwartet hatte. Ich dachte, das Leben würde uns schon eher aus seinem Dienst entlassen«, sagte Corvus. »Und die Narbe an deiner Kehle ist auch nicht mehr zu sehen.« Dann fragte er erstaunt: »Und warum trägst du das Stirnband der Träumer? Haben die Eceni dich etwa wieder als einen der ihren bei sich aufgenommen?« Das Stirnband hatte er zuerst gar nicht bemerkt, nun aber erfüllte sein Anblick ihn mit Erstaunen.
Pechschwarze Augen blickten in die seinen, und in den Tiefen dieser beiden Augenpaare vereinten sich zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Abermals erkannte Corvus in diesen dunklen Augen jene spröde, trockene Ironie, die er von Anfang an so sehr geliebt hatte, selbst als diese noch nicht offen zutage getreten war, als Valerius noch nicht begriffen hatte, wie er diese Ironie eines Tages zu seiner eigenen Verteidigung würde einsetzen können, als er noch nicht gewusst hatte, welche Kraft ihm dieser fast schon zynische Zug einmal verleihen würde. Doch Corvus entdeckte noch mehr. Endlich sah er die Hingabe wieder, die lange Zeit aus Valerius’ Blick gewichen war, und er sah Mitgefühl, Fürsorge. Doch er erkannte auch jenen dunklen Schatten wieder, zu dem einstige Qualen sich verdichtet hatten, und es tat Corvus in der Seele weh, dass selbst der Tod diese Qualen offenbar nicht hatte auslöschen können.
Jene Stimme, die ihm vertrauter war als jede andere Stimme in der Welt und die er unter Tausenden wiedererkannt hätte, erklärte ihm nun: »Corvus, es tut mir leid. Aber ich bin nicht Bán, den du unter dem Namen Valerius kanntest. Ich bin sein Vater. Aber vielleicht freut es dich zu hören, dass du noch am Leben bist. Du musst mir jetzt bitte vertrauen, dann wirst du auch lebend wieder zum Festland zurückkehren. Und wenn du die weiteren Schritte in deinem Leben von nun an mit etwas mehr Sorgfalt planst, dann, so glaube ich zumindest, wirst du meinen Sohn in diesem Leben auch noch mindestens einmal wiedersehen, ehe der Tod euch beide in sein Land holt. Und vielleicht verhilft diese eine Begegnung deinem Herzen ja auch, endlich den Schmerz zu vergessen, der schon so lange darin wohnt.«
Wäre Corvus nicht so entsetzlich übel gewesen, hätte er mit Sicherheit sofort gesehen, dass dieser Mann nicht Valerius war. Er hätte die fremde Kadenz in dessen Stimme erkannt, die Stimme eines Mannes, der die Qualen, die mit einem Leben im Dienste des Kaisers einhergingen, nie kennengelernt hatte. Verzweifelt durchforstete Corvus die Überreste seines Bewusstseins und klammerte sich dann an jene Scherbe, die ihm in diesem Augenblick am wichtigsten erschien. »Ach, was in unserem jetzigen Leben geschieht … darum geht es doch im Grunde gar nicht. Mir liegt etwas ganz anderes am Herzen. Kannst du mir versprechen, dass Valerius und ich uns nach diesem Leben wiedersehen werden, dass wir im Tode zusammen sein werden? Wird uns dort endlich etwas Zeit miteinander vergönnt sein?« Noch niemals zuvor hatte er dies einen Menschen gefragt, nie hatte er seine Sehnsucht so klar in Worte gefasst, nie hatte er sich so verzweifelt nach etwas gesehnt.
»An jenem Ort, an dem die Zeit nicht mehr existiert?« Erstaunlicherweise lag in den dunklen Augen deutlich weniger Mitgefühl, als Corvus erwartet hatte. Stattdessen erkannte er in dem Blick seines Gegenübers eine seltsame Tiefe und einen Hauch von Belustigung. »Im Tode, genauso wie im Traum, ist alles möglich. Wenn du Valerius’ Seele hier erreichst und es schaffst, zumindest in deinen Träumen mit ihm zusammen zu sein, dann wirst du ihn auch im Tod an deiner Seite finden. Aber ich vermute, wenn es eines Tages so weit ist, wird es auch noch andere geben, die nach dir suchen werden und die
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