Die Kriegerin der Kelten
mittlerweile nicht nur müde und hungrig, sondern sie wurden auch von einer zunehmenden Unruhe gequält. Sie fürchteten sich nicht bloß vor den angeblich umherwandernden Geistern, sondern hatten auch Angst vor besagten aufständischen Jugendlichen. Vor allem aber grauste es die Veteranen vor den Kriegern, deren Feuer die gesamte Nacht über die Hügelketten oberhalb von Camulodunum erhellt hatten und dann plötzlich allesamt ausgelöscht worden waren.
Die Wachposten hatten das abrupte Verglühen der Feuer genau beobachtet und kamen kaum dazu, einander mit hektischen Fragen zu bestürmen, als auch schon der Regen einsetzte und ohrenbetäubender Donner ertönte. Doch diese Wachen waren keine jungen Männer mehr, denen es nichts ausmachte, die Nacht in strömendem Regen auszuharren, sodass sie sich einer nach dem anderen in einen Unterschlupf zurückzogen, von dem aus sie mit starrem Blick in die finstere Ödnis hinausschauten, zu der Camulodunum sich entwickelt hatte.
Plötzlich aber war die Stadt, die vor kurzem noch menschenleer erschienen war, gar nicht mehr verlassen, sondern mit einem Mal wimmelte es nur so vor Totenfratzen, die sich grinsend und mit scharfen Messern auf die einstigen Legionssoldaten stürzten. Nass und vor Erschöpfung bereits wie benommen, starben die Männer fast ohne Gegenwehr. Schwer sanken ihre Leichen in jene Gräben, die sie soeben noch bewacht hatten. Auf die toten Veteranen wurden einige gehörige Ladungen Schlamm und Geröll geschüttet, und schon waren die Straßen, in denen eben noch Fallrinnen für die Pferde gelauert hatten, selbst für das berittene Heer der Bodicea wieder passierbar.
Hinter der Grabenlinie befand sich allerdings noch eine kleine, unbewachte Barrikade, die aus Schutt, Holz und Teilen von kürzlich verlassenen Villen errichtet worden war. Und kaum dass die Gräben wieder aufgefüllt waren, eilten die Bärinnenkrieger auch schon weiter und machten sich daran, auch die Barrikade niederzureißen.
Nur langsam zog die Morgendämmerung herauf. Cunomar arbeitete mit bloßen Händen, schleuderte zerbrochene Ziegel und ganze Segmente von mit Lehm bestrichenem Flechtwerk an den Straßenrand. Endlich stellte er fest, dass die Dunkelheit ihren tiefschwarzen Mantel bereits etwas gelüpft hatte, und er konnte neben sich die Silhouette von Ulla erkennen, die ebenso wie er eifrig arbeitete.
Ihr dunkles Haar klebte ihr dicht am Kopf, die Enden ihrer durchweichten Strähnen trafen sich unter ihrem Kinn, und die weiße Kalkfarbe, die zuvor noch in groben Kreisen ihre Arme und ihre Schultern bedeckt hatte, klebte nun als körniger Brei in ihren Armbeugen. Der dicke Streifen aber, der geradewegs auf ihrem Nasenrücken platziert worden war, war erhalten geblieben und hob eindrucksvoll den Schnitt ihres Gesichts hervor. Hätte Cunomar die Angst der Veteranen vor umgehenden Geistern geteilt, so wäre es ihm sicherlich nicht schwer gefallen, in ihr nun eine der Untoten zu sehen. Mit breitem Grinsen blickte Ulla zu ihrem Anführer hinüber. Dann hoben sie gemeinsam einen Dachbalken beiseite, der ihnen allerdings sofort einige Splitter in die Handflächen presste. Einen Moment lang hielten Cunomar und Ulla in ihrer Arbeit inne und zogen sich mit den Zähnen vorsichtig die Splitter aus den Händen.
Ulla stand so dicht neben ihm, dass er ihren Schweiß riechen und die Speichelspur erkennen konnte, die sie mit ihren Lippen quer über ihre Hand verteilt hatte, ehe der strömende Regen sie wieder abwusch. Ein greller Blitz erhellte den Himmel, und Ulla erschien plötzlich wie von Silber eingehüllt. Wieder schaute sie Cunomar fröhlich lachend an. Dann, in der kurzen Pause zwischen Blitz und Donner, legte sie eine Hand an das noch vorhandene Ohr ihres Anführers und brüllte über das Trommeln des Regens hinweg: »Bei diesem Regen kann man kein Signalfeuer entzünden, das ist völlig unmöglich. Du musst also irgendwo auf einem der Hausdächer unser Banner aufstellen.«
»Ich weiß.«
Der Sturm schien allmählich weiterzuziehen, die Pausen zwischen den einzelnen Blitzen und dem darauf folgenden Donnergrollen wurden zunehmend länger. Cunomar blieb also gerade noch genug Zeit, um Ulla seine Antwort ins Ohr zu brüllen, ehe die Götter ihre Wolkenberge gegeneinander rammten und der Lärm jeglichen Wortwechsel sofort wieder zum Erliegen brachte. Cunomar berührte leicht Ullas Arm und spürte mehr, als dass er es sehen konnte, wie sie ihm folgte.
Gemeinsam mit den anderen Bärinnenkriegern,
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