Die Kriegerin der Kelten
die sich zwischenzeitlich ebenfalls wieder um Ulla und ihren Anführer geschart hatten, eilten sie in Richtung Norden und dann in nordöstliche Richtung auf ein solides, ganz aus Ziegeln erbautes Haus zu, dessen Dachpfannen nicht aus vergoldeter Bronze bestanden wie bei den umliegenden Villen, sondern aus Lehm gefertigt worden waren. Die Außenmauer, die um dieses Haus verlief, war zwar hoch genug, um einen gewissen Schutz zu bieten, aber wiederum nicht so hoch, dass man sie nicht mehr hätte erklettern können. Das hatte Cunomar bereits zu Beginn seiner dreitägigen Erkundungstour bemerkt, zu der er kurz vor der Schlacht von einer nahen Hügelkuppe aus angesetzt hatte. Er war also erfreut darüber, festzustellen, dass zumindest dieses Gebäude in der Zwischenzeit noch nicht niedergerissen worden war, so wie es bei den zahlreichen, etwas dichter am Stadtrand liegenden Häusern der Fall gewesen war, um dann aus deren Mauerwerk einen Schutzwall um den zentralen Teil der Stadt zu errichten.
Ulla erkannte die Chance, die dieses Haus ihnen bot, mindestens ebenso schnell wie Cunomar. »Das wäre doch ein guter Ort, um das Banner der Bodicea aufzustellen«, rief sie. »Vor allem aber kann man von hier aus die Schlacht beobachten und sehen, wo wir gerade am dringendsten gebraucht werden.«
»Ja.«
Mittlerweile überraschte es Cunomar nicht mehr allzu sehr, wenn er feststellte, dass Ulla wieder einmal den gleichen Gedanken gehabt hatte wie er. Genauer gesagt hoffte er inzwischen sogar, dass sie sich im Zweifelsfall auch ohne Worte verstehen würden. Als sie den Dachbalken von der Barrikade gehoben hatte, war es das Gleiche gewesen. Und auch davor, als sie zusammen den Straßengraben wieder aufgefüllt hatten. Genauso, wie während der Tage, als sie den Angriff auf Camulodunum planten. Immer hatte Cunomar bei schier unzähligen, scheinbar belanglosen Gelegenheiten das Gefühl gehabt, dass ihm und Ulla genau die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen. Seit dem Tag, als die Krieger der Bodicea die Neunzehnte Legion des römischen Kaisers vernichtet hatten, hatte sich irgendetwas zwischen Cunomar und Ulla verändert. Mehr noch als das gemeinsam durchlittene Auspeitschen oder der mit konsequentem, hartem Training verbrachte Winter, hatte das gemeinsame Töten in der Schlacht sie beide auf eine Art und Weise zusammengeschweißt, wie es nur bei echten Kampfgenossen der Fall war. Dies war ein Erlebnis, wie es auch in den alten Liedern immer wieder beschrieben wurde. Und nicht zuletzt hatte Cunomar dies auch bei seiner Mutter und Caradoc und später dann bei seiner Mutter und Cygfa beobachten können.
Als er noch ein Kind gewesen war, hatte er geglaubt, dass er bereits wüsste, was es bedeutete, mit einem anderen Menschen den gleichen Gedanken zu haben. Jetzt jedoch, im Herzen eines tosenden Sturms und umringt von den Geistern der Toten, die ihren Göttern entgegenmarschierten, während andere, noch auf der Erde weilende Legionare nur einen Speerwurf von Ulla und Cunomar entfernt den beiden Kriegern nach dem Leben trachteten und das Kriegsheer auf dem sanft in Richtung Camulodunum abfallenden Hang auf sein Signal zum Angriff wartete, genau in diesem flüchtigen Augenblick begriff Cunomar, dass sich ihm erst jetzt jene Tür in eine neue Welt eröffnet hatte und er unmittelbar an der Schwelle zu einem ganz neuen Bewusstsein stand. Ein kurzer Blick hinüber in dieses andere Dasein reichte ihm, um zu erkennen, dass dies ein Ort war, an dem er unbedingt noch länger verweilen wollte, ein Ort, zu dem es ihn hinzog wie zu keinem anderen Ort auf dieser Welt. Cunomar dachte an Eneit, der leider nicht mehr lebte, und er erinnerte sich, dass sich auch in seiner Freundschaft mit Eneit einst diese Tür geöffnet hatte. Irgendwann aber hatte Cunomar die Pforte abrupt wieder zugeschlagen. Ein Teil von ihm würde wohl bis in alle Ewigkeit darum trauern.
»Ulla...«
»Später. Darüber können wir auch später sprechen.« Das Grinsen war von ihrem Gesicht verschwunden, der Regen und das Zwielicht hatten sich wie ein dichter Schleier vor ihre Augen gedrängt, und der Ausdruck darin war nur noch schwer zu erkennen. Ihre Miene aber war ruhig und zugänglich, und es schien, als ob Cunomars Gedanke auch dieses Mal in ihrem Kopf hallte, beziehungsweise, als ob ihre Erkenntnis auch ihm schließlich bewusst geworden wäre, nur dass Ulla eben schon etwas eher an jenem Ort angelangt war, den Cunomar soeben hatte erblicken dürfen.
»Ulla, du musst
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