Die Kriegerin der Kelten
Befehlsgewalt über die Veteranen zu haben schien. Dabei blieb ihm Snail, wie stets, dicht auf den Fersen und reckte auch weiterhin tapfer das Banner mit dem roten Stier vor dem Grau Monas in die Luft, jenes Emblem, das schon zu Zeiten seines Dienstes in der Kavallerie Valerius’ ganz persönliches Zeichen gewesen war. Noch merkwürdiger aber als die Pflichtversessenheit, die der Bursche sogar in den brenzligsten Situationen bewies, war, dass er dieses Banner auch noch mit einem gewissen Stolz zu tragen schien. Und dann wiederum war nicht zu übersehen, dass er sich andererseits nicht so ganz darüber im Klaren darüber war, was genau er eigentlich von diesem widersprüchlichen Symbol halten sollte und wie er die Bedeutung dieses Symbols in sein eigenes Denken aufzunehmen gedachte.
Doch er war nicht der Einzige, den diese Art innere Zerrissenheit quälte. Selbst in der Nacht unmittelbar vor dem Angriff auf Camulodunum hatte das Kriegsheer der Bodicea noch eine deutliche Spaltung aufgewiesen, was die Anwesenheit von Valerius und dessen Anführerrolle für das gesamte Heer betraf. Der Großteil der jungen Kriegerinnen und Krieger brachte dem Bruder der Bodicea für das, was er einst getan hatte, noch immer seinen ungebrochenen Hass entgegen. Doch es gab auch eine kleine Anzahl von Kriegern, welche die Hasslieder über Valerius, die sie abends am Feuer zu singen pflegten, langsam verhallen ließen und sich stattdessen bemühten, alles, was er sie in der kurzen Zeit nur irgend lehren konnte, aufmerksam in sich aufzunehmen. Folglich war es auch keine große Überraschung mehr gewesen, als sich bei der Aufteilung des Kriegsheeres der Bodicea schließlich entschied, wer sich freiwillig Valerius’ Führung anschloss und wer nicht.
Einer von denjenigen, die sich am bereitwilligsten zu ihrem neuen Anführer bekannten, war Snail gewesen. Und er war auch derjenige, dessen Speere mit größerer Präzision ihr Ziel trafen als die der meisten anderen. Andererseits war das noch lange keine Garantie dafür, dass er mitten in einer realen Schlacht genauso treffsicher war wie im Training. Doch wie bei fast allem, so kam es auch in diesem Fall auf einen Versuch an.
Und wie immer, so ließ das Kampfgetümmel auch bei dieser Schlacht irgendwann nach. Weder die Veteranen noch die Jugendlichen besaßen das Durchhaltevermögen für allzu lange andauernde Schlachten. Die Kämpfenden standen sich in zwei Linien geradewegs gegenüber, getrennt allein durch die Gefallenen, die zwischen ihnen lagen. Die beiden Gruppen waren einander noch nie in ihrem Leben begegnet, sie waren Fremde füreinander. Und doch betrachteten sie nun alle zusammen und seltsam geeint die womöglich letzten Moment ihres jeweiligen Lebens, sahen dem nahen Tod ins Auge, während um sie herum, in den anderen Teilen der Stadt, Feuer, Schwerter und Speere wie ein Wirbelsturm in Camulodunum wüteten.
Alle rangen nach Atem, während Valerius sich rasch den Schweiß von der Nase wischte und seinen Standartenträger anwies: »Snail, der da, der auf seinen Schild einen weißen Widderkopf gepinselt hat. Töte ihn mit deinem Speer!«
Der Bursche war von sehr nachdenklicher Natur, grübelte fast schon ein wenig zu viel für seine jungen Jahre. Nun war sein dünnes, weizenbraunes Haar verklebt von der letzten Feuchtigkeit des Regens, sodass er beinahe so aussah, als bestände sein ganzes Wesen bloß aus einem schmalen Kopf und diesen riesigen, entsetzt dreinblickenden Augen. Für einen Moment schloss er die Lider, und der Träumer in Valerius hörte das knappe Stoßgebet des Jungen, das dieser im Geiste sprach und das, kaum begonnen, auch schon wieder verhallte. Der Mann in Valerius dagegen richtete sein Augenmerk mehr auf den Anflug von Selbstbetrachtung und Unsicherheit, unter dem der Junge ebenfalls zu schwanken schien, und diese Beobachtung machte Valerius traurig, denn beides war hier, mitten auf einem Schlachtfeld, mehr als überflüssig. »Nein, du musst das tun«, widersprach Snail. »Du musst ihn töten. Ich verfehle ihn vielleicht.«
»Du wirst ihn nicht verfehlen.« Valerius streckte die Hand aus. »Gib mir die Standarte, damit du dich ganz auf dein Ziel konzentrieren kannst. Und beeil dich, bevor er dich womöglich noch entdeckt.«
»Und bevor ich die Zeit finde, womöglich zu genau darüber nachzudenken, was ich gerade tue, und dadurch erst recht danebenwerfe?« Snail schenkte Valerius ein bekümmertes Lächeln. Valerius entgegnete nichts mehr, sondern drängte das
Weitere Kostenlose Bücher