Die Kriegerin der Kelten
geh zurück hinter die Barrikade. Du musst überleben. Ich hab schließlich noch einiges mit dir vor.«
Dann aber blieb Valerius keine Zeit mehr, noch länger auf den Jungen einzureden, in der Hoffnung, dass dieser ihm endlich zuhörte. Denn sie kämpften hier gegen Männer, deren Beruf es war zu töten und die das Chaos auf einem Schlachtfeld mit der gleichen Schnelligkeit und Professionalität zu deuten wussten, wie sie am Abend bei einem Brettspiel die Augen auf ihrem Würfel zählten. Und genau diese Männer hatten nun gerade beobachtet, wie Valerius einen Befehl erteilt hatte. Und Snail wiederum war von Anfang an als sein Standartenträger zu erkennen gewesen - der Träger einer Standarte, an die die ehemaligen Legionare sich nur noch allzu gut erinnerten.
»Valerius!« Irgendjemand brüllte seinen Namen, doch er erkannte die Stimme nicht wieder.
Dann, einen kurzen Augenblick später, schrie Longinus in der Sprache der Thraker: »Valerius! Speere!«
Noch immer hielt Valerius die Standarte. Das Heft fest in der Hand, beugte er sich vornüber, das Gesicht in die schwarze Mähne und den heißen Schweiß des Krähenpferdes gepresst. Mit seiner freien Hand hatte er Snail am Genick gepackt und drückte diesen nun ebenfalls fest gegen den Hals des Tieres.
Er spürte, wie ein feiner, eisiger Luftzug an ihm vorbeihauchte, hörte den Atem von fliegendem Eisen, das in seiner Reinheit schließlich von dem hässlichen Geräusch zerreißenden Fleisches überlagert wurde. Dann vermischte sich Blut mit dem Schweiß, der an seinem Gesicht entlangrann. Das Krähenpferd stand so still, als ob es in Stein gemeißelt sei. Allein das Zittern, das unter Valerius’ Hand durch den Hals des Hengstes lief, verriet, wo ein Stück unterhalb seiner Mähne der Speer in seinen Hals eingedrungen war.
Valerius hatte bereits viele Pferde im Krieg verloren, aber noch nicht so viele, dass er sich daran bereits gewöhnt hätte. Und besonders dieses Pferd liebte er von ganzem Herzen. Eine Woge der Panik drohte, ihm die Gewalt über seine Gedärme zu rauben. Unmittelbar darauf aber folgte auch schon der zweite Schock, nämlich der Gedanke daran, was ein solcher Verlust seiner Selbstkontrolle, und dies auch noch mitten auf einem Schlachtfeld, wohl seinem Ruf antäte. Vorsichtig richtete er sich wieder auf und ließ den Jungen los.
»Snail, du musst jetzt wieder zurück. Und um Conna trauern wir dann, wenn... Runter !«
Achtlos ließ Valerius die Standarte in den Schlamm fallen, denn er wusste nur zu gut, dass der erste Speer, der eigentlich einem von ihnen beiden gegolten hatte, nur durch Zufall sein Ziel verfehlt und stattdessen den Hengst getroffen hatte. Im Übrigen hatten die Götter ihn nicht im Geringsten vorgewarnt vor dem, was ihm nun offenbar drohte. Weder Nemains leise Stimme war erklungen noch das Brüllen des Bullen Mithras’. Ein Teil von Valerius grämte sich über die scheinbare Missachtung, mit der seine Gottheiten ihn zu strafen schienen. Ein anderer Teil seines Bewusstseins aber hatte sich schon längst wieder auf den Kampf konzentriert, und mit energischer Geste riss er sein Schwert aus dessen Scheide, ließ das Krähenpferd auf der Hinterhand kehrt machen und schuf sich dadurch Platz. Platz, um mit seinem Schwert ausholen zu können, um zustechen zu können, um Snail vor dem Zenturio und dessen vier Leibgarden zu schützen. Und überhaupt - weshalb, in Mithras’ Namen, waren diese fünf Halunken eigentlich immer noch am Leben?
Trotz aller Bemühungen allerdings war Valerius mittlerweile der Ansicht, an Snails Schicksal ohnehin nicht mehr viel ändern zu können, dass dieser schon bald mit dem Tod dafür bezahlen müsste, dass er sich ganz einfach fürchtete, dass er noch zu jung war und vor Kummer wie gelähmt.
Ohnehin gab es für Valerius in den nächsten Augenblicken sowieso nur das eine Ziel, sich irgendwie im Sattel zu halten und dadurch zunächst einmal sein eigenes Überleben zu sichern. Denn das Krähenpferd, das nun ebenfalls vom wahren Kampfgeist gepackt wurde, explodierte regelrecht in dem Verlangen, nun alles und jeden um sich herum mit seinen Hufen einfach kurz und klein zu schlagen.
Es war Jahre her, seit das Tier zuletzt in einer Schlacht verwundet worden war. Valerius hatte schon ganz vergessen, wie es sich anfühlte, dieses Pferd zu reiten, wenn der Blutdurst es gepackt hatte. Es war ein Gefühl, als befände er sich mitten auf dem Ozean in einem tosenden Unwetter und als würden geradewegs unter seinem
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