Die Kriegerin der Kelten
Stadtviertel von Camulodunum schien wie mit einem Schleier verhüllt.
Valerius erhob die Stimme, um auch den Letzten seiner Truppe zu erreichen, und verkündete: »Die Veteranen haben eine Feuerschneise geschlagen, um das Krankenhaus, das Theater und den Tempel vor den Flammen zu schützen. Die, die noch vom Feind übrig sind, werden sich also mittlerweile dorthin zurückgezogen haben. Und vor den Flammen mögen sie ja auch sicher sein - aber nicht vor uns. Vor der Feuerschneise werden wir also mit der Bodicea und mit Ardacos zusammentreffen, jenem Krieger, der den Eceni und der Insel Mona die Bärinnenkrieger geschickt hat. Und gemeinsam werden wir zerstören, was noch von Roms Hauptstadt in unserem Lande übrig ist.«
Allgemeines Gemurmel ertönte, und fast schon klang es, als zollten die Krieger Valerius damit ihre Anerkennung. Energisch trieb Valerius das Krähenpferd voran. Der Hengst hatte sich mittlerweile beruhigt, und auch die Wunde an seinem Hals blutete nicht mehr. Links von Valerius ritt Longinus und lachte gemeinsam mit Nydd, ganz so, als hätten sie ihre letzte Begegnung bereits vergessen - damals, auf einem Schlachtfeld, jeder mit einem Schwert in der Hand und auf gänzlich gegnerischen Seiten. Zu Valerius’ Rechter sang Madb derweil in rollendem Hibernisch eine schwungvolle Kriegsweise und ließ ihr Pferd im Rhythmus ihres Liedes traben.
Ein Stückchen hinter Valerius hatte Huw aus dem Stamme der Silurer, der beste Steinschleuderer von ganz Mona, die Standarte mit dem roten Stier aus dem Schlamm aufgehoben und trug sie nun wieder genauso, wie er es früher schon einmal getan hatte, damals, in den Bergen, und unter einem wesentlich kräftiger wehenden Wind als dem jetzigen. Knife von den Eceni, der bemerkenswert gut gekämpft hatte und dafür später unbedingt eine Belobigung erhalten musste, befehligte unterdessen die Krieger, die zu Fuß in die Schlacht zogen, und ließ sie in einer ordentlichen Formation hinter sich hermarschieren.
Ohne auch nur einem einzigen Widersacher zu begegnen, ritten Valerius und seine Vertrauten durch jene blutnasse Straße, die sie zum Zentrum von Camulodunum führte. Mit dem flatternden Banner des Bullen Mithras’ vor dem Grau von Mona geleitete er seine Krieger der trüben Morgensonne entgegen, und er spürte, wie ihm eine Last von den Schultern genommen worden war, von der er zuvor noch gar nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte. Er fühlte sich leichter und, erstaunlicherweise, sogar jünger.
Solange er sich zurückerinnern konnte, war dies das erste Mal, dass er wirklich glücklich war.
DRITTER TEIL
Frühsommer A. D. 60
XXIII
Gewaltig und weiß thronte der Tempel des göttlichen Claudius, des einstigen Kaisers von Rom und all seiner Provinzen, inmitten des schier unübersehbaren Meeres von Schutt und Asche und verbranntem Flechtwerk, zu dem Camulodunum geworden war.
Das matte Licht des späten Nachmittags ließ die Schatten weniger hart erscheinen, wohingegen die restlichen Feuer umso heller leuchteten. Die Silhouette der Stadt mutete nurmehr wie ein Gerippe an, durchsetzt von zahllosen Lücken und gesprenkelt mit roten und orangefarbenen Feuerblüten, die stellenweise zusammenflossen, um wahre Wände aus Flammen zu bilden.
Kleinere Feuer dienten den Kriegern als Wärmequelle sowie dazu, Mahlzeiten zu kochen und Wasser zu erhitzen, das sie benötigten, um ihre Wunden auszuwaschen. Von einigen unversehrten Häusern östlich des Tempels hatte man Strohfackeln ergattert und diese dann entlang der Straßen aufgestellt, sodass Reihen winziger Lichtpunkte erkennen ließen, wo jene Häuser, die von den Flammen verschont geblieben waren, einen von den östlichen Rändern der Stadt ausgehenden Bogen beschrieben.
Der Tempel dominierte alles. Eleganz besaß das Gebäude nicht, nur eine überwältigende Größe und eine Menge Gold auf dem Dach. Bisher waren die goldenen Ziegel jedoch noch nicht geschmolzen, weil das Feuer die breite Lücke in Form des um den gesamten Tempel herumlaufenden gepflasterten Hofs nicht überwinden konnte.
Wenn ein zum Gott erhobener Kaiser die Liebe seiner früheren Untertanen anhand der Größe des Gebäudes maß, das diese ihm zu Ehren errichteten, dann wäre Claudius sicherlich hocherfreut gewesen über das monumentale Ausmaß des Tempels, der am Schauplatz seines einzigen Sieges erbaut worden war. Zehn hochgewachsene Krieger hätten jeweils einer auf den Schultern des anderen stehen können, und dennoch hätte der Kopf
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