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Die Kriegerin der Kelten

Die Kriegerin der Kelten

Titel: Die Kriegerin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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Frau, die ihm wohlvertraut war, unter einem Schandpfahl auf dem Boden lag. Genau genommen hatte er sich sogar schon viel eher in Gefahr gebracht, in dem Moment, als er jenen Falkenspäher der Coritani mit der Messerwunde an der Unterlippe entdeckt und in dessen Augen diese rätselhafte Wildheit gelesen hatte. Und sogar noch eher hatte das Risiko begonnen, damals, als er einen Jungen aus dem Volk der Eceni in Gallien auf einem Pferdemarkt entdeckt hatte und noch wesentlich mehr in ihm erkannte als bloß dessen ungezügeltes Temperament …
    Doch es war nutzlos, nun sämtliche Fehlentscheidungen, die er jemals getroffen hatte, im Geiste noch einmal nachzuvollziehen. Er hatte Grenzen überschritten und Vertrauen missbraucht, und jedes Mal hatte er sich wieder irgendeine fadenscheinige Rechtfertigung für sein Handeln ausgedacht. Immer wieder hatte er sich eingeredet, dass er in Wirklichkeit keinen Verrat an seinem Kaiser beziehungsweise an seiner Standarte beziehungsweise an dem Eid, den er einst seinem General geschworen hatte, begehe. Hatte sich in dem Glauben gewähnt, dass er genau Bescheid wüsste über das komplexe Lebensgefüge innerhalb der Stämme, und dass er darum recht gut - wahrscheinlich sogar besser als jeder andere - dazu geeignet sei zu beurteilen, wie man das Chaos und das Elend, das andere anzettelten, durch geschicktes Eingreifen vielleicht doch noch zum Besseren wenden könnte. Corvus war der Ansicht gewesen, dass er stark genug sei, um stets und in allem, was er tat, ein Ehrenmann zu bleiben, und dass diese, seine ganz persönliche Ehre irgendwann auch der Ehre seiner Rasse und seines gesamten Berufsstands zugute käme.
    Nun marschierte er den kurzen Weg durch Heidekraut und die ersten Schlammpfützen zum Zelt des Gouverneurs und dachte darüber nach, ob er das, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war, nicht auch einfach dem Tribunal erzählen sollte, das im Zeltinneren bereits auf ihn wartete. Dann aber schienen die Worte, die er eben noch auf seiner Zunge getragen hatte, sich seltsam zu verkrümmen und zu verbiegen, sodass er sie doch lieber unausgesprochen ließ und sie aus seinem Kopf verbannte. Er wollte nicht lügen, wollte das winzige Stückchen vom Leben, das ihm noch verblieb, nicht mit Unwahrheiten besudeln. So viel immerhin hatte er mittlerweile gelernt.
    Stattdessen grübelte er darüber nach, wie er die Wahrheit am geschicktesten vermitteln könnte: Ich habe es getan, weil diese Frau dort auf dem Boden mir einst ihre Waffe angeboten hatte, als ich dringend eine Waffe brauchte. Auch wenn ich die tiefere Bedeutung dessen, was sie mir damals angeboten hatte, in dem Moment noch gar nicht verstanden hatte. Vielleicht aber würde er auch sagen: Ein kleines Mädchen schenkte mir einst ihr Pferd, und zwar als ein Geschenk einer Schwester an einen Bruder. Und in meiner Dummheit hatte ich damals gedacht, dass ich bereits wüsste, was sie mir damit überreicht hatte. In Wirklichkeit aber habe ich das erst verstanden, als ich heute mit genau diesem Pferd die Meerenge durchquerte und begriff, was für eine großartige Geste dieses Geschenk doch gewesen war. Oder aber er sagte einfach nur: Ich tat es, weil die Ehre es mir zu gebieten schien.
    Letzteres aber klang für ihn, Corvus, irgendwie hohl. Gleichzeitig jedoch war das die einzige Erklärung, bei der die Hoffnung bestand, dass die, die sich nun im Zelt versammelt hatten, sie noch irgendwie würden nachvollziehen können. Alles in allem kam er schließlich zu der Entscheidung, dass es wohl am einfachsten wäre, wenn er einfach schwieg. Denn was den Ausgang des Tribunals betraf, würde daran sowohl die eine wie die andere Erklärung ohnehin nichts mehr ändern können.
    Dann hatte er das Zelt erreicht. Die Kohlebecken ließen die Zeltwände stellenweise rötlich aufglühen. Noch vor der Zelttür konnte Corvus bereits die Wärme und die feuchte Luft, den Schweiß und den vagen Gestank der verbrennenden Kohlen wahrnehmen. Und plötzlich wurde ihm auch sein eigener Geruch bewusst, der Geruch nach nassem Wolfsfell, ein Umstand, der ihm in seiner ohnehin prekären Situation nun sicherlich nicht zum Vorteil gereichen würde. Doch es ließ sich nichts mehr daran ändern.
    Er holte noch einmal tief Luft, genoss den Duft des Heidekrauts und des Meeres und nahm die scharfe Kälte der Frühlingsnacht in sich auf. Bis er schließlich kurz an der Zeltklappe kratzte. Gleich darauf konnte er hören, wie der Schreiber sich erhob, um ihm die Tür zu öffnen

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