Die Kriegerin der Kelten
befand sich jetzt an der Schwelle ihres ganz persönlichen Lebenswegs, sie stand an der Schwelle zu einem Land, das sie noch niemals zuvor betreten hatte und aus dem sie auch nicht wieder zurückkehren könnte. Während die Krähen fraßen, entgegnete Breaca an ihren Bruder gewandt: »Ich habe gehört, du hättest mir einen Speer geschmiedet, einen, der so aussehen soll wie die Reiherspeere der Kaledonier, nur dass du statt des silbernen Hefts eines aus Eisen verwendet hättest. Und Airmid soll Schlangen in den Schaft geschnitzt haben, sodass es ein echter Schlangenspeer geworden wäre. Ein Speer, wie man ihn in einer Schlacht benutzen könnte, und ohne Federn, um das Gleichgewicht auszutarieren. Stimmt das?«
Valerius hörte auf, sich noch länger seine Nägel zu reinigen. Vorsichtig platzierte er das Messer auf seinem Sattel gleich hinter dem Knauf. »Wir haben niemandem davon erzählt. Also, woher weißt du das?«
»Nemain hat es mir erzählt. Als mein Fieber sich seinem Ende entgegenneigte. Sie sagte, du glaubtest, dieser Speer würde mich wieder fester mit dem Leben verbinden.«
Valerius wandte den Blick nach Westen, der Sonne entgegen, die langsam hinter dem Horizont versank. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Sein Gesicht glich dem von Macha, wirkte aber deutlich strenger, wie vom Kampf gestählt. Schließlich erwiderte er: »In meiner Verzweiflung war ich wohl etwas selbstherrlich geworden. Du brauchst den Speer nicht anzunehmen.«
»Aber ich möchte den Speer gerne annehmen. Nur noch nicht jetzt. Wenn ich aus dem Norden wieder zurückkehre - und wenn ich dann noch heil und in einem Stück sein sollte -, dann würde ich den Speer sehr gerne annehmen.«
Damit stand sie auf, ergriff Valerius’ Arm, und mit einem Male war er wieder Bán, und sie war nicht mehr länger die Bodicea, sondern nur noch Breaca, und gemeinsam gingen sie zum Großen Versammlungshaus beziehungsweise zur Lagerstelle, um ihre Abendmahlzeit einzunehmen. Das Leben schien wieder das zu sein, was es früher einmal gewesen war, bevor der Albtraum in Form der römischen Legionen über sie hereingebrochen war. Oder zumindest konnten Bán und Breaca für eine kurze Nacht davon träumen, dass sie wieder ihr altes Leben lebten. Ehe sie sich abermals voneinander trennen mussten.
XXXI
Corvus genoss den Mittsommersonnenaufgang an Deck einer breiten, in Flaute geratenen Frachtschaluppe. Nur ein einziges Segel vermochte sich unter dem schwachen Wind zu blähen, und müde dümpelte der Kahn durch die seichten Wogen, ganz ähnlich einer Ente, die durch den Teich ihres heimischen Bauernhofs planschte. Und dennoch lag die Mehrzahl der Legionare matt und von Übelkeit geplagt in ihren Kojen. Allein die wirklich seefesten Männer trotzten dem Schicksal ihrer Kameraden.
Corvus hätte sich selbst zwar nie als sonderlich seefest bezeichnet, aber ganz offensichtlich vertrug er das Meer immer noch besser als der Rest der Römer. Breitbeinig stand er auf dem Achterdeck und hob seinen Becher; an seiner Seite der Steuermann und der Kapitän. Und tapfer prostete er mit seinem stark verdünnten Wein dem ersten, blutroten Streifen der aufgehenden Sonne zu.
Corvus war nie ein Priester oder Würdenträger im Dienst der römischen Kulte gewesen, nun aber sprach er einige Worte an Jupiter, der noch immer der berechenbarste aller Götter zu sein schien, und kippte dann ein wenig von dem Wein in die graugrüne See. Als Opfergabe für Neptun sozusagen, auf dass Corvus und seine Männer hoffentlich in Bälde wieder ein wenig Wind erfahren dürften und schließlich sicher anlandeten an einem Ort, wo weder die Tide noch Strudel noch unter der Wasseroberfläche verborgene Riffe ihr Leben bedrohten. Zum Schluss sprach Corvus einige kurze Worte auf Alexandrinisch, in dem Wissen, dass weder der Kapitän, noch der Steuermann diese Sprache verstanden, und erklärte den hoffentlich gnädig lauschenden Geistern der von ihm innigst geliebten Menschen die Tiefe seiner Gefühle. Dies war ein Ritual, das Corvus, seit er in den Dienst der Legionen eingetreten war, zu jeder Wintersonnenwende und jeder Sommersonnenwende vollzog.
Auch heute fühlte er sich von diesem Ritual beruhigt, so wie es ihn stets mit einem gewissen Gleichmut zu erfüllen vermochte, und prompt schien sogar der Wahnsinn des Vorhabens, das Corvus und seine Begleiter gegenwärtig verfolgten, ein bisschen weniger erschreckend. Man musste sich die ganze Angelegenheit im Grunde nur einmal aus dem richtigen
Weitere Kostenlose Bücher