Die Kriegerin der Kelten
Blickwinkel besehen, schon entdeckte man neben dem Wahnsinn auch das Heroische des Unternehmens. Und ganz zweifellos würde diese Tat spätestens im Nachhinein im Senat und den Bädern von Rom zu einem Akt von geradezu selbstloser Vaterlandsliebe stilisiert werden. Wenngleich diese Stilisierung wohl von Männern vollzogen würde, die es zwar sehr genossen, den Geschichten vom Sterben ferner Helden zu lauschen, die aber gleichzeitig auch hofften, niemals selbst in eine solch prekäre Lage zu geraten. Lieber verliehen diese Männer stattdessen wortreich ihrer rückhaltlosen Bewunderung für derlei Taten Ausdruck und fabulierten über die Ruhmsucht und den Mut jener derart wagemutigen Männer.
Corvus schenkte dem Meer einen letzten Schwall des verwässerten Weines und reichte den Kelch anschließend mit beiden Händen weiter an den Steuermann, der einen kleinen Schluck daraus trank und ihn dann auf gleiche Weise dem Kapitän übergab, der ebenfalls trank und gleichsam zeremoniell den Kelch wieder an Corvus zurückreichte, sodass sie schließlich alle drei die Freigiebigkeit der Natur zu Mittsommer zelebriert und dabei ihrer Götter gedacht hatten. Abgesehen von dem hohen Wasseranteil im Becher war der Wein durchaus genießbar und ausgereift, und es umgab ihn der liebliche Duft des Herbstes und von reifen Früchten. Noch einen letzten Moment ließ Corvus den Geschmack auf seiner Zunge verweilen und schluckte erst, als abermals das heimtückische Rollen die Frachtschaluppe durchwogte.
»Heute Landgang?«, fragte Corvus.
»Wenn Nacht kommt.« Der Kapitän des Kahns stammte aus den Ländern im Norden und war ein wahrer Riese von Mann mit gelblichem Haar und roter, wettergegerbter Haut. Um seinen Hals schloss sich ein Ring kleiner, in blauer Farbe tätowierter Punkte. Seine Lateinkenntnisse waren genauso rudimentär wie sein Gallisch, und dennoch beherrschte er diese beiden Sprachen immer noch besser als die britannischen Dialekte. Was jedoch sein Wissen über Leichter und die Meere zwischen Hibernia, Gallien und Britannien betraf, so konnte es kaum einer mit ihm aufnehmen. Er hatte für seine Unterstützung auf dieser Reise einen Vorschuss erhalten, der selbst das Jahresgehalt einer kompletten Zeltbelegung von Legionaren samt ihres Dekurios deutlich übertraf. Und dennoch war sein Talent, ein Schiff sicher in den Hafen zu bringen, mindestens noch einmal so viel wert.
Ausgewählt hatte er den Kahn allerdings nicht. Seltsamerweise hatte keiner der Rom doch angeblich so wohl gesonnenen Stämme auch nur ein einziges freies Schiff zur Verfügung gehabt, als der Gouverneur darum gebeten hatte... Und hätte der nordische Kapitän nicht schließlich etwas von seinem eigenen Gold in die Waagschale geworfen, um auch wirklich genau jene Schiffsbesatzung zu bekommen, die er haben wollte, wäre der Gouverneur nicht nur ohne Schiff dagestanden, sondern auch ohne Seeleute. Letztlich hatte man dann gegen einen horrenden Preis aber doch noch einen Kahn erstehen können, und zwar von einem Mann, dessen Vater einst durch Corvus’ Einschreiten vor dem Tode gerettet worden war. Und selbst dieser Mann hatte die neuen Eigner seiner Schaluppe noch händeringend beschworen, dass sie das Schiff aber bitte erst nach Einbruch der Dunkelheit übernehmen dürften, damit er selbst behaupten könne, das Boot wäre einfach gestohlen worden. Abgesehen von der Besatzung reisten nun also sechzehn Männer mit je einem Pferd auf dem Schiff. Corvus bemühte sich, noch nicht daran zu denken, wie sie nach dem Anlanden gefahrlos und unbeschadet quer durch das Land bis nach Londinium gelangen sollten, wenn selbst in den offiziell befriedeten Gebieten niemand bereit gewesen war, ihnen auch nur ein Boot zu verkaufen.
Der blonde Nordländer deutete mit knappem Nicken auf das Heck der Schaluppe, wo in einer Tauschlinge das einzige Beiboot des Schiffes lag. »Heut Nacht«, erklärte er.
»Rudern. Dunkel. Pferde schwimmen hinterher. Nicht sehen.« Dann rollte er einmal vielsagend mit den Augen. »Und Vögel bleiben trocken.«
Die Vögel waren Flavius’ ganz besondere Lieblinge. Sechs muntere Tauben, die allerdings kein größeres Fluggebiet gewohnt waren als das Festungsgelände der Zwanzigsten Legion, dessen natürliche Begrenzung das Meer gewesen war, so dicht, dass ein Mann auf einem schnellen Pferd die Entfernung zwischen Wasser und Fort in weniger als einem Morgen bewältigen konnte. Flavius empfand für seine Tauben also ähnlich zärtlich, als wären diese
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