Die Kriegerin der Kelten
Reisegefährten, genauso, wie schon der Nordländer deutlich größer gewesen war als seine römischen Fahrgäste. »Die Boote sind weg«, verkündete Gaius. »Ein paar von den Anwohnern hier sind sicherlich auf die andere Seite des Flusses geflüchtet. Aber mindestens drei Wagen sind ostwärts über den Pfad da hinten gefahren.«
»Wie weit ist es noch von hier bis zur Brücke von Vespasian?«
»Ungefähr ein halber Tagesritt. Aber die werden trotzdem schon lange vor uns da sein.«
»Genauso wie auch alle anderen, die sich dorthin auf den Weg gemacht haben.« Corvus wandte sich in seinem Sattel um. »Ich hoffe, die Beamten des Ortes haben sich gut darauf vorbereitet, nun noch rund eintausend weitere Mäuler stopfen zu müssen.«
Die Beamten der Ansiedlung, die sich zu beiden Seiten von Vespasians Brücke am nördlichen Ufer der Thamesis entlangzog, waren allerdings alles andere als gut vorbereitet. Zwischen den Hütten und Händlerbuden und der zentralen Getreidebörse herrschte ein kaum mehr erträglicher Lärm, der es durchaus mit dem Gezeter der Sau und den Enten aufnehmen konnte, nur dass das Chaos in dieser Gemeinschaft sich über ein weitaus größeres Gebiet erstreckte.
Der Ort war ein klassischer Handelshafen, und die Brücke an sich war mit Abstand das bedeutendste Bauwerk inmitten der gesamten Ansiedlung, denn als Stadt konnte man den Ort kaum bezeichnen. Er bestand aus einem schlichten, aus Eichenbohlen errichteten Zollzimmer samt Waagschalen und dem obligatorischen Tisch des Schreibers sowie einem zweiten kleinen Gebäude, das ebenfalls nur einen Raum umfasste, dafür aber aus Stein erbaut war und die Zolldokumente beherbergte. Zudem gab es noch zwei Reihen von Ställen für die Tiere der Gäste und die Pferde all jener Boten, deren Reise an der Brücke von Vespasian womöglich noch nicht zu Ende war, sondern die weiterreisen mussten nach Camulodunum, dem Verwaltungszentrum der Provinz von Britannien. Außerdem boten sich den Besuchern noch acht Tavernen von sehr unterschiedlichem Ruf und zwei Bordelle, eines, das nur Frauen beherbergte, und ein weiteres, das sämtliche anderen Angebote bereithielt, mit denen sich vielleicht noch ein wenig Geld verdienen ließ.
Von den etwa einhundert weiteren Behausungen gehörten die besten natürlich den Beamten, doch selbst diese Häuser waren im Grunde nur etwas komfortablere Hütten aus schlichtem Flechtwerk und mit Strohdächern versehen. Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine streiften ungehindert umher, und Hühner marschierten geradewegs über die Hausdächer oder pickten in den winzigen Hinterhöfen. Doch der Ort beherbergte auch einige große Gemeinschaftsheuschober und Lagerhäuser für Lebensmittel und sogar einen Getreidespeicher sowie eine Reihe von Brunnen für jene Zeiten, wenn die Frühlingsflut den Fluss zu stark ansteigen ließ und das Wasser zu viel Schlamm mit sich trug, als dass man es noch hätte trinken können. Die Straßen, die das Örtchen durchzogen, waren schmal und schmutzig und glichen eher einfachen Fußwegen, die sich von Haus zu Haus schlängelten und kleine Verbindungen zwischen den einzelnen Durchgängen bildeten. Doch es gab auch einige wenige breitere Straßen, in denen die schmalen Gassen sich vereinigten und die schließlich auf die großen, ein Stückchen nördlich des Ortes verlaufenden Handelsstraßen zuführten. Diese verliefen in nordwestliche Richtung hin nach Verulamium, in den Norden zur Insel von Mona und nach Nordosten bis an die Stadtgrenze von Camulodunum. Zu guter Letzt besaß der Ort auch noch ein eigenes Schiff, das zurzeit noch träge am Kai dümpelte, auf dem aber bereits sämtliche Wertsachen seiner Eigner verstaut waren, bereit, notfalls sofort abzulegen und somit den Menschen auf ihm die Flucht zu ermöglichen.
Am bemerkenswertesten aber war, dass den Ort an der Brücke von Vespasian keinerlei schützende Mauer umgab.
Paulinus ritt mit seiner Truppe auf eine bewaldete Anhöhe hinauf, ein gutes Stück hinter dem augenscheinlich völlig unstrukturierten Treiben. Natürlich hatten die Bewohner des Ortes sie bereits entdeckt, noch jedoch war keiner auf sie zugetreten. Eine Weile lang beobachteten die Römer also einfach nur, wie über die breiten Handelsstraßen ein Wagen nach dem anderen in die Siedlung hereinrollte und eine Familie nach der anderen anmarschiert kam. Allerdings gab es nicht einen einzigen Lastkarren, der den Ort wieder verlassen hätte. Es kamen mehr Kinder als Erwachsene und mehr Frauen
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