Die Kriegerin der Kelten
mehr aufzulösenden Stau. Keiner der Karren machte Platz, keiner wich zurück, und schon bald brachen die ersten Achsen. Dann begannen die Menschen, geradewegs über die Wagen hinwegzuklettern, versuchten, sich an ihnen entlangzuquetschen, und prompt fielen die ersten von ihnen ins Wasser. Andere rannten geradewegs an den Verunglückten vorbei, in der Annahme, dass sie allein im Süden die erhoffte Sicherheit finden könnten.
Das Schiff, das eben noch ruhig unten am Fluss am Kai gelegen hatte und lediglich mit immer neuem Stückgut beladen worden war, wurde plötzlich regelrecht überschwemmt von Männern und ihren Familien, die in rasender Angst jeglichen Gedanken an die Rettung des Familiensilbers weit von sich stießen und nurmehr darum kämpften, auf die Gangway zu gelangen und einen sicheren Platz an Deck zu ergattern. Schrill hallte die Pfeife des Kapitäns über das Boot, so laut, dass man sie sogar im hügeligen Hinterland noch hören konnte. Sofort stürmten einige bewaffnete Männer auf das Schiff.
Paulinus stützte sich auf seinen Sattel und fuhr sich nachdenklich mit der Zunge über die obere Zahnreihe. Sämtliche fünfzehn Männer seiner Leibwache bemühten sich unterdessen, bloß nicht den Blick und damit die Aufmerksamkeit ihres Gouverneurs auf sich zu ziehen, sondern starrten angestrengt ins Weite. Schon zweimal - einmal in Mauretanien und davor in Parthien - hatte Paulinus vor einer schweren Entscheidung gestanden und den ihn begleitenden Männern die Möglichkeit geboten, einmal ihre eigene Meinung zu dem möglichen weiteren Vorgehen kundzutun. Jene, die mit ihren Antworten nicht das Wohlwollen des Gouverneurs trafen, durften sich daraufhin in ihre eigenen Klingen stürzen, ehe der Rest weiterritt, während jene, die zu lange zögerten, bevor sie ihren Vorschlag machten, gefesselt und irgendwo angepflockt wurden, um dann an Ort und Stelle elendig zu sterben.
Der Gouverneur ließ sein Pferd wenden. »Plebius?«
Von Anfang an war Plebius stets rechts von seinem General geritten. Er war ein Duplikarius der Zweiten Kohorte der Vierzehnten Legion, der nur noch ein Auge hatte, eine natürliche Begabung für Zahlen besaß und von geradezu krankhafter Gewissenhaftigkeit war. Aufgrund seines körperlichen Handicaps hatte man ihn zum Quartiermeister der kleinen Reisetruppe ernannt, sodass er nun auch die Münzen und das Gold an seinem Körper trug, das sie für die notwendigen Ausgaben und Bestechungsgelder auf ihrer Reise brauchten. Mit reglosem Gesichtsausdruck dirigierte er sein Pferd so weit von seinen Kameraden fort, dass diese ihn und den Gouverneur nicht mehr belauschen konnten, und ließ sich dann von Paulinus erklären, was dieser beabsichtigte.
Nachdem er seinen Befehl verstanden hatte, nickte er einmal kurz, durchforstete seine Taschen und leerte schließlich alles, was er fand, in seinen umgedrehten Helm. Laut klirrte Metall auf Metall.
Suetonius Paulinus ließ sein Pferd herumwirbeln, bis er unmittelbar jenem Halbkreis von Männern gegenüberstand, die er sich zu seiner persönlichen Begleitung auf dieser Reise ausgesucht hatte und deren Ansichten er angeblich so schätzte. Wie stets verrieten seine Gesichtszüge auch jetzt nicht, was in seinem Inneren vor sich ging. Das Blitzen in seinen Augen jedoch schien wie fast immer unmittelbar aus Paulinus’ Seele zu sprechen. Nun aber, unter dem kalten Wind, der vom Fluss heraufwehte, war selbst ihr Ausdruck lediglich von wachsamem Gleichmut.
»Ihr zieht jetzt jeder einen Dinar und einen As aus dem Helm«, befahl er.
Der Helm wurde herumgereicht. Corvus war als Letzter dran. Wie eine kupferne Träne lag der As in dem matt glänzenden Helm. Corvus beherrschte sich, nun nicht probehalber einmal hineinzubeißen, um die Beschaffenheit des Metalls zu prüfen. Der Dinar wiederum war derart auffällig mit einer silberglänzenden Folie überzogen, dass er selbst den prüfenden Biss schon nicht mehr wert war. Auf seiner Vorderseite war ein junger, magerer Augustus eingeprägt, der launisch in Richtung Osten blickte. Auf der Rückseite befand sich ein noch jüngerer, noch ausgemergelterer Stier, der mit Girlanden geschmückt auf seine Opferung wartete. Corvus schloss die Hand über der Münze. Der Stiergott war noch nie sein Glücksbringer gewesen.
»Zwei Möglichkeiten stehen zur Wahl«, verkündete der Gouverneur. »Entweder wir bleiben, rufen die Bewohner dieser Siedlung zur Verteidigung auf und hoffen dann, dass wir damit die Brücke irgendwie halten
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