Die Kriegerin der Kelten
seines Gegenübers noch breiter. Dann, mit einem übellaunigen Blick in Richtung des Wassers, das über den Rand des Vordachs rauschte, nahm Theophilus von Athen und Kos, den Heimatlanden der segensreichen und immerwährenden Trockenheit, sich zusammen und trat schließlich doch hinaus in den wahren Ozean von Schlamm. Dort, wo nun Wassermassen alles unter sich begruben, hatte einst die Weide der Pferde von Lugdunum gelegen und später das Hafengelände.
Einen Augenblick lang dachte der Grieche ernsthaft darüber nach, sich nun ebenfalls einfach die Kleidung vom Leib zu reißen und damit auch die geradezu demütigenden Unbequemlichkeiten von sich zu schleudern, mit denen diese ihn gestraft hatte. Dann aber ließ er den Blick vorbeigleiten an Valerius und den zahllosen anderen, ebenso nutzlosen Zeltvordächern - vorüber an den bemitleidenswerten Pferden mit ihren durchweichten Schweifen, vorbei an den nackten Kriegern, die dicht zusammengedrängt unter einem der Schutzdächer hockten und gegartes, jedoch längst erkaltetes Hammelfleisch aßen, das sie aus den Lagerhäusern des niedergebrannten Hafenorts genommen hatten - und betrachtete den unter dem Unwetter weit über seine Ufer getretenen Fluss. Theophilus starrte auf genau jene Stelle, wo noch immer die Brücke von Vespasian sich in elegantem Bogen über das strudelnde Wasser spannte.
Nackt und schwarz und stolz hob sie sich von dem Schlamm und dem grauen Himmel ab. Sie schwebte geradezu über dem Chaos aus Wolkenbruch und Krieg, gefangen in einem unsichtbaren Netzwerk purer Geometrie.
Während der drei Tage, die das Unwetter nun schon andauerte, war Theophilus dazu übergegangen, sich geradezu mit dieser Brücke zu identifizieren und mit deren Fähigkeit, scheinbar jeglichem Unglück, das über sie hereinbrach, stumm und stolz zu trotzen. Somit war die Brücke auch der Grund, warum er noch immer seine Kleidung am Leibe trug und dies auch weiterhin so bleiben würde. Für Theophilus war es von größter Bedeutung, dass er nicht den Glauben verlor an all das, wofür diese Brücke einst gestanden hatte. So harrte er nun aus, mitten im strömenden Regen, und grübelte über die nahende Zerstörung des Bauwerks nach, glaubte fast schon weinen zu müssen bei diesem traurigen Gedanken, und musste dann zu seinem eigenen Erstaunen feststellen, dass ihm tatsächlich bereits Tränen über die Wangen rannen.
Langsam trat er neben Valerius. »Sie ist so schön , viel schöner als das Forum in Camulodunum oder das Theater oder diese groteske Monstrosität von Claudius’ Tempel. Sie ist einfach perfekt. Ein Zeugnis für die Macht des Menschen über seine Götter. Warum müsst ihr diese Brücke unbedingt zerstören?«
»Aus genau dem Grund, den du gerade selbst angeführt hast. Nur aus diesem einen Grund. Denn wir wollen endlich wieder den Göttern zu ihrer rechtmäßigen Regentschaft verhelfen, hier, in diesem Land, das die Menschen sich untertan gemacht haben. Wir versuchen, das Land zurückzuerobern, um es dann nicht mehr nach menschlichem Gutdünken, sondern wieder im Sinne der höheren Mächte zu bestellen.«
Valerius war wieder ganz er selbst, energiegeladen und voller Leben, als ob der Regen ihm förmlich die Seele nährte - oder als ob die Schlachten seinem Inneren neue Kraft verliehen. Und nun wurde auch klar, dass er, entgegen Theophilus’ ursprünglicher Vermutung, überhaupt nicht so war wie Julius Caesar, diesem einstigen Lustknaben der Könige, sondern dass Valerius vielmehr Vespasian zu gleichen schien, jenem Mann, der jenseits der Zerstörungen, die jeder Krieg unweigerlich mit sich brachte, auch die vielschichtigen Ereignisse und Ursachen zu erkennen vermochte, die überhaupt erst zu diesen Kriegen geführt hatten.
Valerius war ganz zweifellos ein Mann, der es geschafft hatte, all das, was die Götter in ihm an Potenzial angelegt hatten, tatsächlich fast komplett auszuschöpfen. Hätte Theophilus sagen sollen, welchen Teil seiner selbst Valerius noch nicht erfüllt hätte, so hätte es dem Arzt zweifellos einige Mühen bereitet, nun den Finger auf diese noch fehlende Facette in Valerius’ Seele zu legen. Und dennoch war klar, dass es - irgendwo - noch eine Lücke geben musste in Valerius’ Wesen. Ein winziges Stückchen fehlte noch zu dem Mosaik seines Lebens, und sollte er eines Tages auch diese letzte Scherbe noch finden und einpassen in das stimmige Ganze, dann wäre aus dem Suchenden schließlich ein wahrhaft außergewöhnlicher Mensch
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