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Die Kristallhexe

Titel: Die Kristallhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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andere gemacht hatten.
    Die Schatten wirbelten nach wie vor um den Turm, als Angela hinaustrat, aber dieses Mal beachteten die Wächter sie nicht. Sie sah sich suchend um und entdeckte einen schmalen Weg, der zum See zu führen schien. Das Gras auf beiden Seiten ging ihr bis zu den Knöcheln. Blumen mit roten und blauen Blüten wuchsen darin, Insekten summten. Ein Stück entfernt von ihr stieß ein Elch ein lautes Röhren aus. Ein anderer antwortete.
    Der Bootssteg befand sich am Ende des Wegs. Er bestand aus einigen stabil aussehenden Brettern, die auf Pfählen in den See hinausragten. Hohes Schilf umgab ihn, so wie den Rest des Ufers. Von so weit unten konnte Angela die andere Seite nicht sehen, aber sie wusste, dass der See kreisrund war. In ihrer Welt hätte man ihn wahrscheinlich für einen uralten Krater gehalten, der sich mit Wasser gefüllt hatte, aber in Innistìr gab es so etwas nicht. Der See war rund, weil es der Wille des Mannes gewesen war, der ihn erschaffen hatte.
    Alberich stand neben dem Steg. Er drehte ihr den Rücken zu und sah auf den See hinaus. Ein kleines Boot lag mit dem Kiel nach oben halb verdeckt im Schilf hinter ihm.
    »Hast du lange gewartet?«, fragte Angela, während sie sich ihm näherte. »Ich dachte, du hättest noch etwas zu erledigen.«
    »Es ging schneller als erwartet.« Alberich drehte sich um. »Wir ...«
    Er brach ab. Seine Augen weiteten sich, musterten Angela überrascht. »Du siehst ... toll aus.«
    Sie sah an sich hinab. Die schwarze Lederjacke lag eng an und betonte ihre Taille. Sie hatte den Reißverschluss halb geöffnet, sodass man ihre Brüste mehr als nur erahnte und erkennen konnte, dass sie nichts unter der Jacke trug. Die ebenfalls schwarze Lederhose saß straff wie eine zweite Haut, die Stiefel mit den flachen Absätzen - ihr einziges Zugeständnis an Praktikabilität - reichten fast bis zu den Knien.
    »Gefällt es dir?«, fragte sie betont unschuldig. Die Kleidung gab ihr Selbstbewusstsein.
    Alberichs Adamsapfel hüpfte auf und ab. Er schluckte und lächelte. »Das ist eine Untertreibung.«
    Angela blieb vor ihm stehen und legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen. Er hatte sein Hemd zugeknöpft und trug eine schwarze, offene Weste darüber.
    »Möchtest du das Training ein wenig verschieben?«
    Er küsste ihre Fingerspitze und strich mit beiden Händen über ihre Hüften. Einen Moment lang glaubte sie, er würde sie ins Schilf ziehen, doch dann räusperte er sich und trat einen Schritt zurück. »Ich wünschte, wir könnten es, aber wir haben bereits genug Zeit verloren. Komm!«
    Alberich nahm sie bei der Hand und führte sie auf den Steg hinaus. Angelas Schritte hallten dumpf von den Brettern wider. Das Wasser des Sees gluckste leise. Die Oberfläche war völlig glatt, als habe man einen Spiegel über den ganzen See gelegt. Sie sah den Himmel darin und die hoch am Himmel stehende Sonne.
    »Du kannst deine Kräfte noch nicht kontrollieren«, sagte Alberich, als sie den Rand des Stegs erreichten. »Wir wissen nicht, was passieren wird, wenn du dich an etwas Offensiverem als dem fernen Blick versuchst. Deshalb werden wir das hier ausprobieren und nicht im Turm.«
    Angela nickte. Auf einmal fühlte sie sich, als ticke eine Bombe in ihr, deren Sprengkraft niemand einschätzen konnte. »Was soll ich tun?«
    Alberich griff in seine Westentasche und zog einen Kristall hervor. Er war achteckig geformt und so groß wie sein Handteller.
    »Schon wieder ein Kristall?«, fragte Angela missmutig. Sie hatte stundenlang auf einen Kristall gestarrt, ohne dass etwas geschehen war. Die Aussicht, diese Erfahrung wiederholen zu müssen, begeisterte sie nicht.
    »Du wirst nie auf Kristalle verzichten können.« Alberich legte ihn ihr in die Hand. Er war kalt und leichter, als sie erwartet hatte. »Sie sorgen dafür, dass deine Magie gebündelt wird. Ohne Kristalle würde all die Energie, die du in dir spürst, verpuffen.«
    Welche Energie?, wollte Angela fragen, aber sie spürte tatsächlich, wie sich etwas in ihr regte. Die Zeitbombe, an die sie zuvor hatte denken müssen, begann zu ticken. Sie hob die Hand und konzentrierte sich auf den Kristall.
    Alberich trat hinter sie und legte ihr beide Hände auf die Schultern, drehte sie so, dass sie auf den See hinaussehen musste. »Stell dir vor, dort stünde ein Feind, jemand, den du töten musst, um nicht selbst getötet zu werden. Er kommt rasch auf dich zu. Seine Klauen schlagen bereits nach dir, aber noch ist er zu weit

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