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Die Kristallhexe

Titel: Die Kristallhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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wegnimmt?«
    Seine Raubtieraugen musterten sie. »Würde es dich stören, wenn es so wäre?«
    Sie dachte einen Moment darüber nach, obwohl sie instinktiv zustimmen wollte. Schließlich hatte sie stets versucht, möglichst gerecht und fair zu leben. Sie kaufte Kaffee aus Fair-Trade-Anbau, auch wenn Felix sich immer über den Preis beschwerte, trennte Müll und spendete für SOS-Kinderdörfer. Ihren eigenen Kindern hatte sie beigebracht, zu teilen und sich nicht auf Kosten anderer zu bereichern. Doch als sie nun darüber nachdachte, dass irgendwo in Innistìr jemand mit knurrendem Magen vor einem leeren Teller saß, während sie das Huhn aßen, das für ihn bestimmt gewesen war, spürte sie keine Reue. Nicht einmal einen Hauch des schlechten Gewissens. Es war ihr schlichtweg egal.
    »Nein«, sagte sie. »Es würde mich nicht stören.«
    Alberich lachte und riss einen Flügel aus dem gebratenen Huhn. »Du fängst an, wie Angelina zu reden. Das gefällt mir.«
    »Ich glaube, ich war schon immer so.« Sie dachte an all die Dinge, die sie getan und gesagt hatte, ohne sie wirklich zu meinen. »Ich habe nur gedacht, ich müsse anders sein, für meine Karriere, meine Familie, meine langweiligen Freunde.« Sie sah Alberich an. »Aber bei dir weiß ich, dass ich mich nicht verstellen muss. Du akzeptierst mich, wie ich bin, nicht, wie ich sein sollte.«
    Seine Lippen glänzten fettig. Er legte den abgenagten Flügel zur Seite und tauchte die Fingerspitzen in eine Schüssel mit Zitronenwasser. Dann wischte er sie langsam an einer Serviette mit eingestickter Königskrone ab. Alberich hatte nicht darum gebeten - der Turm musste selbstständig entschieden haben, diese Servietten bereitzustellen.
    »Ich akzeptiere dich nicht, wie du bist«, sagte Alberich zu ihrer Überraschung. »Damit würde ich dir keinen Gefallen erweisen. Ich akzeptiere dich, wie du sein wirst, wenn die Magie in dir voll erblüht ist.« Er streckte den Arm aus und legte seine Hand auf die ihre. »Du machst dir keine Vorstellung, zu was du in der Lage bist. In ein paar Tagen wirst du über deine kleinen Experimente lachen.«
    Angela zuckte zusammen. »Hat Marcus dir davon erzählt?«
    Alberich ignorierte die Frage. Er drückte Angelas Hand und sah sie ernst an. »Morgen früh fangen wir richtig an, dann wirst du verstehen, was ich meine.«
    Er ließ ihre Hand los, stand auf und ging um den Tisch herum. Angela erhob sich ebenfalls, das Essen war beendet.
    »Und wie du es verstehen wirst«, sagte Alberich leise, dann küsste er Angela. Sie schmeckte Huhn und Essig auf seinen Lippen. Seine Finger lösten den Gürtel ihres seidenen Morgenmantels, dann machte er eine Geste, die sie nicht sehen konnte, und alles auf dem Tisch verschwand. Schlagartig wurde es dunkel im Zimmer.
    »Du musst mir unbedingt beibringen, wie das geht«, murmelte Angela, dann ließ sie sich von Alberich ins Schlafzimmer ziehen.

    »Konzentriere dich!« Alberichs Stimme klang so beschwörend wie die eines Hypnotiseurs. »Sag mir, was du in dem Kristall siehst.«
    Konzentriere dich, entspanne dich, denke an nichts, denke an Laura. Er versuchte alles, aber Angela sah immer nur ihr eigenes, fragmentiertes Gesicht in dem Kristall. In ihrem Inneren war es leer, keine Macht regte sich. Vielleicht, so dachte sie, hatte sie am Vortag alles verpulvert, was sie besaß.
    »Und?«, fragte Alberich.
    Sie schüttelte den Kopf, seufzte und trank einen Schluck Wasser. »Es hat keinen Sinn«, sagte sie.
    »Doch. Du musst nur wollen. Die Magie ist in dir, sie ist nicht einfach verschwunden, also gib dir Mühe.«
    Seine Beharrlichkeit ging Angela auf die Nerven. »Um was zu tun? Laura zu finden?«
    »Zum Beispiel. Es gibt vieles, was du mit dem fernen Blick sehen kannst.«
    Der ferne Blick, so nannte Alberich die Fähigkeit, zu erkennen, was an einem anderen Ort oder mit einer anderen Person geschah. Er schien nichts anderes mit Angela üben zu wollen.
    »Wir wissen doch, dass sie hierher unterwegs sind«, sagte Angela. »Ich habe sie auf dem Schiff gesehen.«
    Alberich legte den Kristall zurück auf den Tisch und stand auf. »Das ist nicht so einfach«, sagte er, während er zum Fenster ging. Draußen sangen Vögel. Der Tag war warm und sonnig. »Deine Visionen zeigen dir nicht immer, was gerade geschieht, sondern gelegentlich auch, was geschehen wird oder bereits geschehen ist. Man braucht viel Übung, um die Zeiten voneinander unterscheiden zu können, und selbst erfahrenen Hexen fällt das manchmal

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