Die Kristallhexe
Tür ab. Wir haben alles unter Kontrolle.«
Angela lächelte. »Nein«, sagte sie, »ich habe alles unter Kontrolle.«
Sie ignorierte seine Proteste und ging weiter die Treppe hinunter. Nach einem Moment schloss er zu ihr auf und zog sein Schwert. »Dann erlaube mir wenigstens, dich zu begleiten.«
Nacheinander stiegen sie über die Beine des toten Soldaten und betraten das Stockwerk, in dem sich früher einmal die Quartiere der Bediensteten befunden haben mussten. Angela hatte sie an einem ihrer ersten Tage im Turm erkundet, aber außer wurmstichigen Schränken und alten Bettrahmen nichts gefunden. Nun waren sie jedoch voller Wachen, die aus den unterschiedlichsten Zeiten zu stammen schienen. Der Grieche Kritodemos, der seinen Helm dieses Mal aufgesetzt hatte, stand neben einem Soldaten aus den neapolitanischen Kriegen, hinter ihm mühten sich zwei asiatisch aussehende Männer, die Rüstungen aus quadratischen Steinplatten trugen, mit den Barrikaden vor einer Tür ab.
»Sie müssen dahinter sein!«, rief einer von ihnen, als er Marcus Secundus sah.
»Das sind Assassinen«, sagte Angela. »Sie sind, wo immer sie sein wollen.«
Marcus gab ihre Worte weiter, ohne sie zu hinterfragen. »Verschwendet nicht eure Zeit. Riegelt die Treppe ab, vier Mann unten, vier oben. Die Assassinen wollen Alberich töten, sie verbarrikadieren sich nicht in irgendeinem Zimmer.«
Ihr fiel auf, dass er Alberich sagte und nicht unser König. Er mochte ihn wohl wirklich nicht.
»Assassinen?« Ein in Felle gehüllter Mann, der aussah, als stamme er aus der Steinzeit, stöhnte auf. »Muss das denn sein?«
»Erfülle deine Pflicht, Soldat!«, brüllte Marcus. »Du bist hier, damit du das endlich lernst!«
Der Steinzeitkrieger zuckte zusammen und ging mit einigen anderen zur Treppe. Marcus sah ihm nach, dann wandte er sich an Angela. »Wo ist Alberich?« Wieder der Name, nicht der Titel.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich habe geschlafen, als er ging.«
Er hielt ihren Blick einen Moment lang mit dem seinen fest, und sie war sich sicher, dass er ihr nicht glaubte. »Schade«, sagte er. »Dann werden wir den ganzen Turm abriegeln müssen.«
»Ja, es sieht so aus.« Angela drehte sich zur Treppe um, als sie ein knackendes, polterndes Geräusch hörte.
Nur eine Sekunde später rollte der Kopf des Steinzeitkriegers von der letzten Stufe. Der neapolitanische Soldat schrie auf, andere wandten sich ab. Marcus fluchte. »Sie gehen über die Außenwände. Deshalb finden wir sie nicht.«
»Dann brauchen wir Schatten, die den Turm von außen bewachen.« Angela lief bereits die ersten Stufen hinauf. Noch nie hatte sie sich so lebendig gefühlt. Es kam ihr vor, als hätte alles in ihrem Leben auf diesen Moment zugesteuert. »Sie können zwar nicht kämpfen, aber uns wenigstens warnen, wenn die Assassinen das noch einmal versuchen.«
Marcus schrie ein paar Befehle, dann folgte er ihr. Irgendwo über ihnen polterte es, jemand fluchte. Angela lief schneller. Mit einer Hand umklammerte sie den Kristall, während sie in Gedanken bereits einen Zauber wob. Als sie den Absatz erreichte, sah sie einen weiteren toten Soldaten, aber keinen Angreifer.
Er muss hier sein, dachte sie. Er hatte nicht die Zeit, sich zu verstecken.
Marcus wollte an ihr vorbeistürmen, aber sie hielt ihn mit der freien Hand zurück. »Du wirst sterben, wenn du das tust.«
Er blieb stehen.
Angela konzentrierte sich auf die Schatten, so, wie sie es in ihrem Schlafzimmer getan hatte, doch sie entdeckte niemanden. Vielleicht lenkten sie die Rufe der Wachen und die Magie, die in ihr kochte, zu sehr ab.
Dann eben anders. Fest drückte sie den Kristall, dann ließ sie ihren Kräften freien Lauf. Blitzschnell überzogen sich die Wände und der Boden vor ihr mit blauem Eis. Die Luft wurde so kalt, dass sie Eiskristalle bildete, die klirrend zu Boden fielen. Eine Männerstimme schrie auf und löste sich von der Wand. Das Eis, das ihn gehalten hatte, zerplatzte. Er schüttelte sich.
Angela dachte, er würde sie angreifen, aber so dumm war er nicht. Mit dem Schwert in der Hand fuhr er herum und schlitterte über das Eis auf die Treppe zu, die nach oben führte. Angela wollte ihn mit einem Eisspeer aufhalten, doch der Assassine zog die Beine an und sprang einfach darüber hinweg. Seine Körperbeherrschung war die eines Artisten.
Links von Angela flog eine Tür auf. Sie wurde durch den Assassinen abgelenkt und bemerkte die Gefahr erst, als Marcus sich schützend vor sie stellte.
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