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Die Kristallhexe

Titel: Die Kristallhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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als sie erwartet hatte. Sie hörte Männer über ihr fluchen und rufen, ein Schatten glitt auf sie zu, dann sah sie das Gras unter sich. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen. Sie überschlug sich, wie oft, konnte sie nicht sagen. Schmerz schoss durch ihren rechten Knöchel, aber sie verdrängte das Gefühl, wie sie es vor langer Zeit gelernt hatte.
    Taumelnd kam Hanin auf die Beine und lief weiter. Bei jedem Schritt trieb der Schmerz in ihrem Knöchel ihr die Tränen in die Augen, aber sie konnte ihn belasten, alles andere interessierte sie nicht.
    Sie lief in die Nacht hinein. Der Turm blieb hinter ihr zurück - und die Hexe mit all ihrer Macht.
    Niemand kann sich ihr entgegenstellen, dachte Hanin. Niemand.

    »Wie konnte das passieren?«, schrie Alberich. »Würde mir das bitte jemand erklären?«
    Mit jemand meinte er Marcus Julius Secundus, der steif vor dem Tisch stand, hinter dem Alberich auf und ab ging. Die Morgensonne schien durch das Fenster und ließ sein schwarzes Haar glänzen und seine Augen leuchten. Angela hätte in ihnen versinken können.
    »Wir wissen es nicht«, antwortete Secundus. »Der Turm wurde wie jede Nacht bewacht.«
    »Schlecht bewacht.«
    Angela hatte Alberich noch nie so wütend gesehen. Die Ader an seinem Hals klopfte rhythmisch, er konnte nicht still stehen. Er hatte sie geweckt, als er am Morgen aus der Bibliothek kam, und gefragt, was geschehen war. Als sie das Wort Assassinen aussprach, war er wortlos aus dem Zimmer gestürmt. Seitdem war er in dieser Stimmung. Wie es Angela ging, fragte er nicht, aber das wertete sie als Kompliment. Er vertraute so sehr auf ihre Fähigkeiten, dass keine Fragen notwendig waren.
    Müde fuhr sie sich über die Augen. Ihre Magie kehrte nach und nach zurück, aber sie fühlte sich wie Angela, nicht wie Angelina.
    »Was wollten die Assassinen überhaupt hier?«, fragte sie.
    »Mich umbringen natürlich!« Nun schrie Alberich selbst sie an. Angela zuckte zusammen. »Und wenn du nicht gewesen wärst, hätten sie das sogar geschafft!«
    Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich war ganz allein da oben, in Trance, um dieses verdammte Buch lesen zu können. Ich wäre nicht einmal aufgewacht, wenn sie mir eine Klinge in den Rücken gestoßen hätten.«
    Marcus verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Wir hätten dich besser schützen können, Herr, wenn wir deinen Aufenthaltsort gekannt hätten.«
    Alberich runzelte die Stirn und sah Angela an. »Warum hast du ihm nicht gesagt, wo ich bin?«
    »Ich war mir nicht sicher, ob man ihm trauen kann.«
    »Warum?«
    Noch einmal entschied sich Angela für die Wahrheit, auch wenn sie Marcus’ verärgerten Blick aus den Augenwinkeln bemerkte. »Er hat einige Dinge gesagt, die bei mir ein seltsames Gefühl hinterlassen haben.«
    Alberich atmete tief durch. Seine Stimme wurde leiser, klang auf einmal gefährlich. »Und wegen eines Gefühls hast du mein Leben riskiert?«
    »Nein, ich ...« Sie unterbrach sich, als sie erkannte, dass er recht hatte. Was, wenn die Assassinin nicht geflohen wäre, sondern versucht hätte, ihren Auftrag doch noch auszuführen? Angela hätte ihr nichts mehr entgegensetzen können, und die Wachen wären kopflos durch den Turm gelaufen, weil niemand gewusst hätte, wo sich ihr Herr befand.
    »Das war sehr dumm von mir«, sagte sie schließlich.
    »Dumm?« Alberich setzte zu einer weiteren Attacke an, schloss dann aber den Mund und blieb schweigend stehen. Angela wünschte, sie hätte die Zeit zurückdrehen und ihre dumme Entscheidung ungeschehen machen können, aber dazu war es zu spät. Der Triumph, den sie beim Aufwachen gespürt hatte, verflog. Sie hatte das Leben des Mannes riskiert, den sie mehr liebte als alles andere auf der Welt. Sie verdiente seine Wut.
    »Wir werden nicht mehr darüber reden«, sagte Alberich. Er wandte sich ab und sah zum Fenster hinaus. Angela senkte den Kopf, schob ihren Stuhl zurück und stand auf. Ihr war schwindlig vor Erschöpfung und schlecht vor Reue.
    Nur Marcus Julius Secundus verharrte reglos. »Es sind zwölf Männer in der letzten Nacht zu Tode gekommen, Herr. Wirst du die Worte für sie sprechen?«
    »Nein.«
    Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs wirkte Marcus verunsichert. »Vielleicht verstehst du nicht, was das be...«
    Alberich ließ ihn nicht ausreden. »Ich verstehe sehr genau, was das bedeutet. Ohne die Worte, die ihre Seele befreien, können sie nicht erlöst werden. Sie werden ihr Dasein als körperlose Geister

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