Die Kristallwelt der Robina Crux
Weise freilich deutet er auf das höhere Wesen Mensch, das Streben nach Vollkommenheit, nach Unsterblichkeit.
Und irgendwie fühlte Robina ein wenig Stolz, Angehörige dieses Menschengeschlechts zu sein…
Im nächsten Augenblick schalt sie sich albern. Welchem Geschlecht außer dem menschlichen könnte man noch angehören?
Sie ging die wenigen Meter hinüber zum Eingangsportal. Mit Ed war ausgemacht, daß sie ihn, falls er sie nicht abholte, in seiner V-Wohnung erwartete.
Zögernd überschritt Robina die Schwelle zu einer historischen Welt. Dämmerlicht und angenehme Kühle umfingen sie – und Stille. Stille, obwohl, wie ihre langsam akkomodierenden Augen wahrnahmen, eine beträchtliche Zahl von Touristen den Dom bevölkerten. Auch innen beeindruckende Weite, Mächtigkeit.
Robina ließ sich treiben in einer Gruppe junger Leute, die sich, wenn überhaupt, flüsternd unterhielten.
Robina betrachtete die Gemälde und Figuren wie ein buntes Bilderbuch. Der Inhalt sagte ihr wenig, ließ nur selten ihre Geschichtskenntnisse aufflackern. Immer wieder richtete sie ihren Blick nach oben, folgte den Säulen in die Erhabenheit der Gewölbe, betrachtete die Pracht der restaurierten Deckengemälde.
Dann setzte sie sich auf eine der Holzbänke, genoß die Atmosphäre, und sie dachte, daß es doch schön gewesen wäre, wenn Boris sie begleitet hätte.
Boris – der Gedanke schmerzte ein wenig. Robina kamen Bilder in den Sinn aus der Zeit, als sie klopfenden Herzens in die Experimentierklasse trat, betont forsch ihren Platz an den Simulatoren einnahm, das Gehirnpotential der Experimentatoren kontrollierte, zur Konzentration mahnte und auf Unachtsamkeiten hinwies, die zu einem Felddurchbruch und damit im Ernstfall zur Katastrophe führen konnten. Sie führte Aussprachen mit zeitweilig Verzagenden, die meinten, daß ihre Kräfte sicher nie ausreichen würden, ihre Bioströme auf das Feld zu aktivieren. Robina wies dann im Experiment über Zeiger und Kurven der Instrumente nach, daß zum biophysikalischen Steuern nicht ein Quant Mystizismus, wohl aber Konzentration und eine gewisse Veranlagung gehörten. Und schließlich war jeder, der sich zur Ausbildung als Feldoperator im Institut befand, auf diese Veranlagung hin untersucht worden.
Sie führte vor, lobte, zwang sich zur Strenge, wenn die Disziplin zu
entgleiten drohte. Und allmählich verlor sie die Unsicherheit.
Nur an dem einen Simulator gelang ihr das nicht.
Robina lächelte in Gedanken.
Dort scheute sie jede Vorführung, weil sie ihr nur unvollkommen gelang.
An diesem Simulator lernte Boris, der Schlanke mit den hellen Augen und den Haarlocken, jener Boris, der ihr – ein wenig überheblich, wie ihr vorkam – zusah, zuhörte, sie scheinbar voll akzeptierte. Aber gerade in dieser zuvorkommenden Widerspruchslosigkeit glaubte sie Vorbehalte zu spüren. Das reizte sie, und sie steigerte sich gerade an diesem Gerät doch noch zur Vollkommenheit. Sie spürte die Bewunderung der übrigen Angehörigen dieses Lernkollektivs, Bewunderung darüber, wie sie als kleine, bei allem Selbstbewußtsein bescheidene Person das Feld in die Schranken zwang, selbst dann noch, als der Simulator – von ihr, zugestanden, ein wenig angeberisch eingestellt – Anomalien hervorrief, die normalerweise, beispielsweise an Bord eines Raumschiffes oder in einer Energieerzeugungsanlage auf Antimateriebasis, Katastrophenalarm und Evakuierung des Objekts bedeutet hätten.
Ja, das ist meine Strecke, dachte sie stolz. Sie dehnte sich, daß die alte steife Dombank unter ihr knackte.
Nur dieser eine, dieser Boris, behielt seine Reserviertheit. Nun, seine Leistungen waren nicht die allerbesten, und da hakte Robina ein. Sie zog ihn allen anderen vor – in Hinblick auf Aufgaben, auf – meist negative – Demonstration. Geduldig spielte er mit, ja, er spielte mit. Bis zu dem Tag, an dem er sie, schon gegen Ende des Unterrichts, freundlich-hinterhältig um eine umfangreiche Erläuterung ihrer Hirnstromaktivierung bat, ihrer Suggestiv-Empfindung während der Konzentrationsphase.
Über diesen Erläuterungen beendete sie den Unterricht, die anderen verließen den Raum.
Als Robina die Falle bemerkte, saß sie bereits drin. Er hatte plötzlich ihre Hände gefaßt, ihr in die Augen gesehen und gesagt: „Robina, willst du nicht aufgeben?“ Im Ton lag die Bitte. Sie spürte, wie ihr das Blut zu Kopfe stieg, wie sich Widerstand regte, und in Sekundenschnelle wurde ihr klar, wie sehr sie diesen Menschen
Weitere Kostenlose Bücher