Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die kritische Dosis

Die kritische Dosis

Titel: Die kritische Dosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. A. Fair
Vom Netzwerk:
»Ich kann wahrsagen«, erklärte sie. »Ich mache das nicht berufsmäßig, sondern natürlich nur privat für meine Freunde. Die Hände verraten den Charakter.«
    Sie nahm sanft meine rechte Hand, breitete sie auf ihrem Schoß aus und streichelte meine Finger.
    »Sie besitzen Phantasie«, sagte sie. »Und Findigkeit. Beides drückt sich in Ihrer Arbeit aus. Mehrere Frauen spielen in Ihrem Leben eine Rolle, aber Sie halten alle auf Distanz. Da gibt es eine ältere Frau, zu der Sie in irgendeiner Geschäftsbeziehung stehen und die Sie ständig reizen, und da gibt es eine jüngere Frau, die schrecklich in Sie verliebt ist. Und zwar schon lange. Sie arbeiten in einem Beruf, in dem man sich schwer tut, wenn man verheiratet ist, und Sie sind zu sehr Gentleman, um dieses Mädchen auszunutzen.«
    Sie sah mich unentwegt an.
    Sie hatte grüne Augen mit ungewöhnlich kleinen Pupillen.
    »Sie verstehen?« fragte sie.
    »Ich bin ganz Ohr...«
    Sie lachte. Es klang hart und scheppernd. »Fordern Sie mich nicht heraus. Wenn meine Freunde den ungläubigen Thomas spielten, habe ich ihnen schon oft einen tüchtigen Schock versetzt.«
    »Wie denn?« wollte ich wissen.
    »Indem ich ihnen Dinge erzählte, die ich ihrer Meinung nach unmöglich wissen konnte.«
    »Trifft das nicht auf die Wahrsagerei ganz allgemein zu?«
    »Wissen Sie, ich versenke mich mehr in den Charakter, und natürlich formt der Charakter die Umwelt.«
    »Hochinteressant«, sagte ich und sah sie an, als sähe ich sie zum erstenmal bewußt. »Sind Sie Schriftstellerin?«
    »Nein.« Sie lachte.
    »Was dann?«
    Sie zögerte, der Wirkung dieser Pause sehr bewußt. Dann: »Nein, das möchte ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Wie heißen Sie?«
    »Lam«, antwortete ich. »Donald Lam.«
    »Nennen Sie mich Minny«, sagte sie. »Das ist eine Abkürzung von Minerva.«
    »Und Ihr Familienname?«
    Sie legte einen Finger auf die Lippen, sah mich kokett von der Seite an und fragte: »Genügt Ihnen Minny nicht?«
    Ich lächelte. »Im allgemeinen setzt die Frau dem Mann die Grenzen.«
    »Ich wette, daß die Frauen das bei Ihnen nur selten tun, Donald.«
    »Haben Sie das geraten, oder gehört auch das zur Charaktererkennung ? «
    »Es ist eine allgemeine Feststellung«, sagte sie. »Nun aber zurück zu Ihrer Hand.«
    Sie öffnete meine Hand weit, streichelte die Finger sanft und sagte: »Es ist eine wundervolle Hand, Donald. Sie sind fast ein Genie. Sie haben eine ungewöhnliche Beschäftigung — etwas Geheimnisvolles... Sind Sie Agent, Donald, oder beim FBI?«
    »Glauben Sie, daß ich das zugeben würde?«
    »Ich weiß nicht. Dürften Sie denn nicht darüber sprechen?«
    »Ich weiß nicht...«
    Sie lachte. »Sie sind sehr, sehr zugeknöpft. Übrigens steht es nicht besonders gut um Sie, Donald. Jemand versucht, Ihnen Schwierigkeiten zu machen. Jemand, der sehr viel Macht hat. Sie werden sich vorsehen müssen. Sehr, sehr vorsehen.«
    Ich riß ihr meine Hand weg und schloß sie zur Faust.
    Sie sah mich an und lächelte. »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich Ihnen einen tüchtigen Schock versetze, Donald. Ich habe ins Schwarze getroffen, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte ich kurz.
    »Wollen Sie sich mir nicht anvertrauen?«
    »Nein.«
    »Viele Leute vertrauen mir ihre Sorgen an. Und dann helfe ich ihnen...«
    »Wie?«
    »Durch eine Art außersinnlicher Wahrnehmung.«
    Ich zögerte einen Augenblick. Dann sagte ich: »Nein, das hieße meine Schweigepflicht verletzen.«
    »Ein Berufsgeheimnis?«
    »Ja, gewissermaßen.«
    »Sind Sie Anwalt?«
    »Nein.«
    Sie betrachtete mich nachdenklich. »Sie sind ziemlich viel gereist in letzter Zeit. In Los Angeles gibt es etwas, das Ihnen Sorgen macht.«
    Ich schwieg.
    »Es handelt sich um einen Mann und eine Frau. Eine geheime Verbindung. Sie wissen etwas, das — nun ja, weiter kann ich nicht gehen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil Sie eine Sperre zwischen uns geschoben haben, als ich das eben sagte. Vielleicht war ich zu sehr darauf bedacht, Ihnen zu helfen. Ich habe mich für Sie interessiert, als ich Ihre Hände sah, aber wenn Sie keine Hilfe wollen, respektiere ich das. Soviel aber will ich Ihnen sagen: Sie sind im Augenblick ganz besonders gefährdet. Menschen, die Sie ganz auf Ihrer Seite wähnen, mißbrauchen Sie, mißbrauchen Sie ganz bewußt und egoistisch und werden Sie ablegen wie ein Paar alte Schuhe, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Bitte seien Sie nicht zu vertrauensselig, Donald. Donald, ich flehe Sie an: Sie werden sich das Genick brechen,

Weitere Kostenlose Bücher