Die Krone von Camelot
sagte Gawain müde. »Ich habe keine Antwort. Ich weiß nur, daß ich für uns alle fürchte, falls Medraut fortfuhrt, was er begonnen hat. Laß ihn zurückgehen nach Dun Fionn, und laß ihn sehen, was aus Agravain geworden ist. Vielleicht bekümmert es ihn. Mir tut es weh.«
Gawain war im Sommer zuvor, nachdem er seine Botenfahrt in den Norden beendet hatte, auf die Orkneys gesegelt, und er war nach Camlann zurückgekehrt und hatte weiterhin über dem Schicksal seines älteren Bruders gebrütet. Es sah so aus, als ob Agravain den größten Teil der Zeit betrunken wäre, und er hatte schreckliche Alpträume, wenn er nüchtern zu Bett ging. Er war in den paar Jahren seit Morgas’ Tod schnell gealtert. Er wurde zu einer Gestalt, die die nördlichen Könige verachteten, und er war verbittert, weil er es wußte. Jetzt blickte Gawain wieder auf, sah den Ausdruck in meinem Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Denk nicht darüber nach«, sagte er mir. »Es gibt nichts, was man tun kann. Ich wußte, daß es passieren würde, nachdem er sie umgebracht hatte.«
Wieder schaute er hinaus über die Felder und sprach mit leiser Stimme. »Wie ich auch wußte, daß Medraut von ihr dazu getrieben wurde, diejenigen zu vernichten, die ihre Feinde gewesen waren. Seltsam, wie ihr Schatten sich unter uns hält. Agravain und Medraut, beide werden davon verzehrt. und Artus. Und jetzt lebt der Schatten mitten in Camlann und frißt an uns allen. Wie ich mir wünsche.« Seine Worte verwehten, und er fuhr fort, wie der Falke, dessen Name er trug, brütend über das Feld hinauszuschauen.
Ich legte meine Hand auf seine Schulter. »Was wünschst du dir?« fragte ich leise.
Er lächelte wehmütig und löste sich aus seiner trüben Stimmung. »Ich wünschte mir, daß ich die Lady Elidan geheiratet hätte und daß es mehr in meinem Leben gäbe als Schlachten und Botenreisen. Ich wünschte, ich hätte ein Stückchen von einem ganz gewöhnlichen Leben, zu dem ich mich wenden, in dem ich ausruhen könnte. Ich schwöre den Eid meines Volkes, ich beneide Rhys und Cei um ihre Kinder.«
»Ich auch«, antwortete ich leise. Er schaute mich scharf an, nahm dann meine Hand von seiner Schulter und küßte sie.
»Verzeih mir, my Lady. Ich weiß, daß du mehr erträgst als ich, und ich hatte nicht vor, mich zu beklagen.«
»Mein Bruder«, sagte ich, »du klagst weniger als ein Heiliger und mit Sicherheit weniger als ich.«
Ja, tatsächlich - plötzlich fühlte ich mich durch ihn beschämt. Sein Verhältnis zu seiner Familie war schon seit langer Zeit genauso gespannt wie mein Verhältnis zu meiner Sippe. Das kam erstens daher, daß er ihrem traditionellen Feind Artus diente, und zweitens, weil er vor vier Jahren gezwungen gewesen war, einen seiner Vettern umzubringen, der für Königin Morgas gekämpft hatte. Das war ein Verbrechen, für welches er aus seiner Sippe ausgestoßen werden konnte, aber da sein Bruder Agravain König war, hatte man die Angelegenheit mit ein paar Vergeltungsriten übergangen. Dennoch, er war nicht willkommen auf den Inseln. Ich hatte wenigstens Artus. Gawain hatte einmal eine leidenschaftliche Liebesgeschichte mit der Schwester eines nördlichen Königs erlebt: Der Bruder des Mädchens hatte gegen Artus rebelliert, und Gawain hatte ihn getötet. Die Lady Elidan, die Tochter des Caw, war von königlicher Geburt. Sie hatte dem Mörder ihres Bruders nie verzeihen wollen, und sie hatte es ihm auch gesagt. Noch Jahre nach dem Tod ihres Bruders, als Gawain sie in dem Kloster in Gwynedd, in welches sie sich zurückgezogen hatte, ausfindig gemacht hatte, hielt sie energisch an ihrem Wort fest und weigerte sich, Gawain zu verzeihen oder weiterhin etwas mit ihm zu tun zu haben. Er gab sich alle Schuld für das, was geschehen war, und er war ja auch der Schuldige gewesen. Er hatte bei ihr gelegen, als er als Artus’ Bote Gast ihres Bruders gewesen war, und er hatte ihr einen Eid geschworen, ihrem Bruder nicht zu schaden, und er hatte ihn gebrochen. Aber er war sehr jung gewesen und voll verzweifelter Liebe. Ihr Bruder war in der Schlacht getötet worden, und Gawain liebte sie noch. Ich glaube, die meisten Frauen hätten ihm verziehen. Da ihm aber nicht verziehen worden war, achtete er wenig auf die Anstrengungen anderer Frauen, ihn anzuziehen. Nicht nur, daß er Elidan noch immer liebte, sondern er hatte ihr auch weh getan, und er fürchtete sich noch immer davor, auch einer anderen weh zu tun. So blieb ihm nichts: keine Eltern, keine
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