Die Krone von Lytar
anerkennend, »wäre dies genau das Richtige.«
»Täuscht Euch nicht«, widersprach Knorre. »Gerade in solchen Häusern lauert oft die größte Gefahr. Es ist Magie, die sie vor dem Verfall bewahrt, und man weiß nie, wovor sie noch schützen soll.«
Als sie vorübergeritten waren, warf Garret einen letzten Blick zurück auf das Anwesen, und für einen kurzen Moment meinte er eine junge Frau in einem eleganten Kleid wahrgenommen zu haben, die ihn freundlich anlächelte. Doch kam es ihm vor, als schimmerten durch ihr ebenmäßiges Gesicht die fahlen Knochen hindurch.
»Der Fluss des Todes«, brach Knorre etwas später die Stille. »Ein passender Name, wie ich meine.«
Sie waren nun näher am Zentrum der alten Stadt. Pflanzen wuchsen hier kaum noch, und alles schien steril und unwirtlich. Unter den Hufen ihrer Pferde knirschten immer wieder alte Knochen. Selbst nach Jahrhunderten noch war erkennbar, dass diese breite Straße zu dem Zeitpunkt, als das Schicksal die Stadt ereilte, sehr belebt gewesen sein musste. Hier und da sah man noch die Überreste von Sänften und schweren Wagen samt ihrer Ladung, manchmal hatten Stoffe, Leder und rostüberzogenes Metall die Zeit überdauert, und nicht selten lag ein Schädel in einer geschützten Ecke und schien sie anzugrinsen. Garret musterte den Platz vor der größtenteils zerstörten Brücke. Hunderte von Menschen mussten hier innerhalb eines kurzen Moments den Tod gefunden haben.
Der Lyanta floss wie Sirup durch den gemauerten Kanal. Keine Wellen waren hier zu sehen, die Pfeiler der alten Brücke wurden nur träge umspült. Was der Fluss mit sich führte, sah nicht wie Wasser aus und war von einem stählernen Grau, das hier und da von einem unnatürlich schillernden Grün durchsetzt war.
»Unser Weg in die Stadt«, verkündete Knorre und stieg von seinem Pferd ab, um an die noch intakte Brüstung heranzutreten. Sie war gut einen Schritt breit und spannte sich als fahles Band aus weißem Marmor in einem schwungvollen Bogen scheinbar schwerelos über den Fluss, obwohl die Straße darunter weggebrochen war.
»Über das Ding?«, rief Argor aschfahl.
»Es ist breit genug«, beschied Knorre. »Sogar für die Pferde.«
»Aber ist es auch stabil genug?«, fragte Tarlon skeptisch.
»Nun, es steht seit Jahrhunderten«, antwortete Knorre mit einem Lächeln. »Und es wird wohl auch noch ein Weilchen halten!«
»Wenn niemand etwas dagegen hat«, erbot sich Hendriks, »gehe ich zuerst.« Er stieg ab und griff sein Pferd bei den Zügeln.
»Besser Ihr als ich«, meinte Argor und schüttelte sich. »Ich glaube, ich muss Euch erst auf der anderen Seite stehen sehen, um Mut zu fassen!«
Jemand hatte aus Steinen eine Art Treppe vor die Brüstung gebaut, und als Hendriks vorsichtig das steinerne Band betrat, folgte ihm das Pferd zwar etwas zögernd, kam dann aber nach, wobei es bedächtig tastend die Hufe voreinandersetzte. Langsam, Schritt für Schritt, passierten Hendriks und sein Pferd den Bogen. Ein jeder schien die Luft anzuhalten, aber die beiden erreichten sicher die andere Seite.
Als Nächstes folgten Tarlon und Garret, während Elyra, Argor und Knorre noch zurückblieben, um dem Zwerg Mut zu machen.
»Es ist schlimmer als auf dem Brunnenrand«, beharrte Argor störrisch. »Da kann man wenigstens nur auf einer Seite hinunterfallen!«
»Ich könnte dich führen«, bot Elyra lächelnd an. »Die Göttin wird mir die Kraft geben, dich zu halten, wenn du strauchelst.«
»Das bezweifle ich«, sagte Argor skeptisch. »Ich wiege bestimmt dreimal mehr als du!«
Plötzlich erschallte ein Ruf. Es war Tarlon, der ihnen hektisch zuwinkte. Zunächst verstanden sie nicht, was er meinte, doch dann sahen sie, wie in der Ferne ein Pferd zusammenbrach und Garret seinen großen Bogen spannte, während Reiter die Straße heruntergestürmt kamen.
»Unsere Freunde können nicht mehr zurück«, rief Knorre und zog Elyra behütend an sich, als Tarlon auf der anderen Seite vor einem feindlichen Pfeil in Deckung gehen musste. »Auf der Brüstung wären sie Zielscheiben!«
»Tarlon will, dass wir uns verstecken!«, rief Elyra und mimte ihm zurück, dass sie verstanden habe. Aber es war zweifelhaft, ob er es noch sah, denn er hatte bereits seine massive Axt gegriffen und arbeitete sich entlang der Deckung einer Ruine aus ihrem Sichtfeld.
Sein Pferd, das noch mit herabhängenden Zügeln auf der Straße stand, wieherte plötzlich auf, als ein Pfeil seine Flanke traf. Voller Panik rannte es die
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