Die Krone von Lytar
Knorre abwesend. »Und es wird auch Euch überleben. Wir lassen es in Ruhe, und mit etwas Glück kann es uns sogar behilflich sein.«
Bevor Tarlon fragen konnte, was Knorre damit meinte, drehte sich das Monster von ihnen weg, röhrte kurz auf, senkte dann den Kopf und rannte mit einer Geschwindigkeit los, die Tarlon niemals für möglich gehalten hätte. Einen Moment lang dachte er, er hätte sich getäuscht, doch dann sah er in der Ferne eine Gruppe von Kreaturen, die zwar Menschen ähnelten, aber keine waren, denn sie bewegten sich viel steifer und eckiger. Die Wesen hielten Waffen in den Händen, zumeist Schwerter und Äxte, und selbst auf die Entfernung konnte man erkennen, dass diese rostig und alt waren.
Die Kreaturen versuchten erst gar nicht, sich dem seltsamen Einhorn entgegenzustellen, sondern ergriffen umgehend die Flucht.
»Wir sollten jetzt weiterziehen«, meinte Knorre leise und ritt langsam an. »Haltet die Pferde im Schritt, wir wollen seine Aufmerksamkeit nicht auf uns lenken.«
Tarlon nickte, doch seine Aufmerksamkeit galt ganz dem ungleichen Kampf, der nun begann. Er sah, wie eine der Kreaturen von dem Horn des Wesens aufgespießt und zur Seite geschleudert wurde. Doch sie stand wieder auf, was ein Fehler war, denn nun wurde sie in Grund und Boden getrampelt, und selbst auf die Distanz konnte Tarlon erkennen, wie die massigen Klauen des Einhorns Teile aus dem Körper der Kreatur herausrissen, bis diese sich nicht mehr rührte.
»Dort«, flüsterte Garret, der mit seinen scharfen Augen bereits den nächsten Gegner ausgemacht hatte. Auf einem echsenähnlichen Reittier saß ein großer Ritter, der einen schweren schwarzen Plattenpanzer trug und einen Helm, dessen übergroße Hörner allein schon eine Drohung waren.
»Verflucht«, knirschte Hendriks. »Der darf uns nicht sehen, es ist einer von Beliors Kriegsreitern!«
»Ziemlich stattlicher Bursche«, meinte Garret beeindruckt. »Das ist der größte Mensch, den ich je gesehen habe.«
»Wenn es nur ein Mensch wäre«, gab Hendriks zurück. »Was es genau ist, weiß ich nicht, aber ein Mensch kann es kaum sein. Statt Haut hat es schwarze Schuppen, und als Finger wachsen ihm sechs Klauen. Der Rest ist menschenähnlich. Ich sah einen von ihnen, als wir rekrutiert wurden, und ich kann euch sagen, der Kerl lehrte mich das kalte Grausen.« Er sah sich fast panisch um. »Wir müssen hier weg oder uns zumindest verstecken!«
»Er mag zwar groß sein«, meinte Knorre, »aber er ist auch dumm.«
Im gleichen Moment verstand Tarlon, was der hagere Mann meinte. Der Reiter spannte seinen mächtigen Bogen und schoss einen Pfeil auf das seltsame Einhorn ab, das gerade sein viertes Opfer zertrampelte.
Entweder, dachte Garret, war das Vieh wirklich wütend oder die Kreatur unter seinen Klauen ausgesprochen zäh. Er wusste nicht, was davon ihm weniger behagte.
Der Pfeil schlug in die kräftige Flanke des Tieres ein, das für einen langen Moment stocksteif dastand.
»Blattschuss«, kommentierte Tarlon trocken. »Aber der Hauptmann hat recht. Wir sollten jetzt zusehen, dass wir hier wegkommen. Hätte er sich nicht von diesem Einhorn ablenken lassen, hätte der Reiter …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende, denn das massige Tier explodierte nun förmlich. Der Ansturm auf die Kreaturen war noch gemächlich gewesen gegen das, was nun geschah: Die rund achtzig Schritt, die das Einhorn von dem Kriegsreiter trennten, schienen in nur einem Wimpernschlag zurückgelegt, und der Aufprall war so hart, dass das Geräusch auch auf die Entfernung noch laut und deutlich zu hören war. Mit einer blitzschnellen Bewegung seines kräftigen Nackens schleuderte die Bestie das Reitreptil von seinem Horn herunter, wobei auch der mächtige Ritter in die Luft geworfen wurde. Als er zu Boden fiel, ließ das Einhorn seinen Kopf vorzucken wie ein Fechter sein Florett und spießte den Gewappneten auf. Während der Reiter vor Schmerzen schrie, schleuderte ihn das wutentbrannte Wesen gegen einen Felsbrocken, und nur einen Augenblick später rissen riesige Klauen ihn entzwei. Nachdem das Einhorn seinen Blutdurst gestillt hatte, schritt es ganz gemächlich von dannen.
»Ich glaube, die Luft ist rein«, sagte Knorre und grinste Hendriks von der Seite an. »Seid Ihr noch immer sicher, dass man es töten kann?«
»Ich bin sicher, dass ich es nicht tun werde«, antwortete der Hauptmann bleich.
Etwas später führte Knorre sie durch einen großen Mauerriss in die Stadt hinein. Vor ihnen
Weitere Kostenlose Bücher