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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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taumelnd und in aller Eile um die Menge herumgelaufen. Fast wäre ich um das Ganze herumgekommen, dann hätte ich vielleicht mein Leben lang keinen Ärger gehabt, aber ich habe einen Bekannten getroffen, der hat von weitem schon Lianhui, Lianhui gerufen und wieso ich schon nach Hause will?
    Ich sagte, es ist schon nach neun, gar nicht mehr so früh, ich muss noch zur Arbeit. Mein Bekannter erklärte, morgen sei Sonntag, was ich da zur Arbeit müsste? Es wäre besser, wir würden gemeinsam Patrioten sein. Ich schaute dumm aus der Wäsche, aber so viel war sicher, heute war Samstag.
    Ach, keine Ahnung, wie immer, die Zahnräder in der Fabrik haben einem das Gedächtnis zermahlen. Daraufhin habe ich mich umgedreht und von dem gewaltigen Strom mitreißen lassen. Ach je, in der Dunkelheit versammelten sich immer mehr Massen, wie auf dem Markt.
    LIAO YIWU:
    Gab es viele Soldaten?
    WANG LIANHUI:
    Es hat sich nicht einer sehen lassen. Nur ein gepanzertes Fahrzeug lag umgekippt am Straßenrand. Es hieß, vom Nanyuan-Flughafen sei gut ein Dutzend gepanzerter Fahrzeuge mit Soldaten gekommen, wusch, wusch, ein heißer Wind, und weg waren sie. Wer hatte schon den Mut, sich denen in den Weg zu stellen, wir einfachen Leute können noch so aufgebracht sein, wir haben die besten Absichten, aber uns fehlt auch die Courage. Ausgerechnet dieses eine Fahrzeug biegt in die reguläre Hauptstraße ein, auf die Straßeneinmündung zu, biegt ab, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, ziemlich aggressiv. Das Ende vom Lied war, dass es mit einem Knall gegen eine große Zitterpappel gedonnert ist, es qualmte, die waschbeckendicke Rinde wurde von den Wurzeln an aufwärts abgeschält.
    LIAO YIWU:
    Ah, ziemlich blind.
    WANG LIANHUI:
    Dieser Eisenpickel war solide, wenn so einer sich auf flachem Gelände überschlägt, passiert überhaupt nichts. Aber damals ist er abgesoffen. Die militärische Lage war extrem kritisch, also haben die Truppen ihn einfach da zurückgelassen. Es war brühheiß, ein paar Studenten standen auf der Karre und hielten Reden. Denen lief der Schweiß runter wie Regen, genauso wie ihre Tränen. Sie sagten, die Ausnahmetruppen hätten das Feuer eröffnet und würden wahllos um sich schießen, es seien viele ganz unbewaffnete einfache Leute getötet oder verwundet worden. Auf dem Tiananmen fließe das Blut in Strömen. Wer gab ihnen das Recht zu töten? Hatten Li Peng und Deng Xiaoping das Recht, wahllos Unschuldige umzubringen? Diese Mörder von Soldaten nennen sich Brüder und Söhne des Volkes, aber nicht einmal Tiere verhalten sich so.
    Die umstehenden Massen waren fasziniert, es war ein dunkler Haufen Leute, mindestens ein paar hundert. Wir kochten vor Wut, aber wir fanden nichts, an dem wir unsere Wut hätten auslassen können, also spien wir auf der Straße Gift und Galle. Ich weiß nicht, wer mir ins Ohr flüsterte, hau das Ding in Stücke. Aber ich sprang auf die Karre. Mit mir sprangen eine ganze Reihe da hinauf, alles junge Kerle. Hehe, eine Weile haben wir das Ding mit Fäusten und Fußtritten bearbeitet, aber der Eisenpickel hat sich kein Jota von der Stelle gerührt; ich habe auch einen Ziegelstein gesucht und ein paarmal wild auf das Ding eingeschlagen, meine Hand war ganz taub, aber der Pickel hat sich immer noch kein Jota gerührt. Da haben ein paar Leute ein Stemmeisen hochgereicht, ich nahm es, fand aber keine Stelle, wo ich es ansetzen konnte.
    LIAO YIWU:
    Warum?
    WANG LIANHUI:
    Es gab nicht die kleinste Fuge, wo man den Hebel ansetzen konnte. Ich klopfte, bang, bang kam zurück. Mir stieg das Blut in den Kopf, ich konnte meiner Wut keine Luft verschaffen, also habe ich den Spiegel vorn am Visier des Flugabwehrmaschinengewehrs vor dem Einstiegsdeckel in Stücke gehauen und dann die Periskope an beiden Seiten. Aber das hat unseren Hass nicht abgekühlt, wir fanden, man müsse dieses Mordwerkzeug komplett lahmlegen, und irgendwer meinte, das Teil ist überhitzt, das sollten wir nutzen und ein paar Eimer kaltes Wasser drübergießen, wenn die Einzelteile sich zusammenziehen, geht es bestimmt kaputt. Aber so an der Straße, wo sollte man das Wasser herholen? Da sagte ich, wenn wirklich kein Wasser da ist, dann können wir auch draufpinkeln.
    LIAO YIWU:
    Das war nicht Ihr Ernst!
    WANG LIANHUI:
    Nein, das war nicht mein Ernst. Außerdem waren wir zwar ein paar hundert Alte und Junge, aber wir hatten ja noch alle beieinander. Aber später wurde in meiner Urteilsbegründung auf einmal aus dem Spaß bittere

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