Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
Realität, sie verleumdeten mich als einen geborenen Strolch, der ein gepanzertes Militärfahrzeug mit Urin übergossen hat, eine besondere und schwere Straftat. Denn mein Urin hat bei den Soldaten im Fahrzeug fast zum kollektiven Kreislaufstillstand geführt …
    LIAO YIWU:
    Da war noch jemand in dem Fahrzeug?
    WANG LIANHUI:
    Die sind nicht mehr weggekommen. Es hieß, als die Karre gegen den Baum geprallt war, ist sie noch eine ganze Strecke dahingekrochen und dann abgesoffen. So wie die Lage damals aussah, waren die Bürger von Beijing samt und sonders auf hundertachtzig, da hätte nur einer laut rufen müssen, und die hätten sich die Kerle von allen Seiten gegriffen, so wie damals die Boxer sich die Alliierten der acht Staaten [23] gegriffen haben. Die Soldaten, »diese Brüder und Söhne des Volkes«, hatten ein schlechtes Gewissen, wie die Diebe, sie hatten Angst, vom Volk eine Tracht Prügel verabreicht zu bekommen, also machten sie es wie die Schildkröten und zogen sich einfach in ihren Panzer zurück und wären ums Verrecken nicht herausgekommen. Aber ich war spät dazukommen, ich wusste das alles nicht. Außerdem war der Eisenpickel von innen hermetisch dicht, die Außenhaut war aus einem Guss, da wäre kein einziger Tropfen hineingegangen.
    LIAO YIWU:
    Selbst wenn, dann hätte es höchstens einen stinkenden Dampf gegeben.
    WANG LIANHUI:
    Ähm, nachher im Knast war das ein beliebter Witz, die haben immer auf mich gezeigt und gesagt, der Rowdy da, der hat besondere Fähigkeiten, der hat »mit einer Stange Wasser einen Wagen voll mit revolutionären Kämpfern totgeschlagen«.
    LIAO YIWU:
    Wie viele sind denn in so einem Wagen?
    WANG LIANHUI:
    Gut ein Dutzend.
    LIAO YIWU:
    Und die haben sich nie sehen lassen?
    WANG LIANHUI:
    Zuerst haben sie sich zurückgehalten, wenn alles sich aufgelöst hätte und nach Hause gegangen wäre, wären sie natürlich rausgekommen.
    LIAO YIWU:
    Das waren aber doch wohl viele Stunden!
    WANG LIANHUI:
    Das war ein Kommen und Gehen wie auf einem Nachtmarkt. Das war ein Abend, der war wie die Leute, aufgeheizt, viel Donner und wenig Regen. Und dieser erbärmliche Eisenpickel, solange die Dinger in Fahrt sind, kommt ja noch ein bisschen Wind rein und kühlt, aber der war einfach lahmgelegt, da drin müssen mindestens vierzig, fünfzig Grad gewesen sein. Ein normaler Mensch wäre längst umgefallen, aber auch diese gut trainierten Elitesoldaten müssen fast gegart worden sein. Ich nehme an, wenn man den Deckel da aufgemacht hätte, dann wäre einem der Geruch von Baozi mit Menschenfleisch entgegengekommen. Ach, wenn ich nur früher gewusst hätte, dass die da drin sind …
    LIAO YIWU:
    Reue?
    WANG LIANHUI:
    Ich war erst zweiundzwanzig, ein ganz normaler Junge, dumm und einfältig, aber wenn man einmal aus der Masse herausragen kann, da wird man auf einmal mutig, ein sehr gutes Gefühl. Die überwiegende Mehrheit der Chinesen wird ein Leben lang geduckt, sie ertragen das alles und leben wie das reine Lumpenpack. Doch bei der politischen Großwetterlage von 1989 , da war das für uns alle auf einmal ganz anders, erhebend, das war wie eine Läuterung des Geistes, nicht für irgendetwas anderes, nicht für sich selbst, nur ein entschlossener Gedanke: Lasst sie nicht in die Stadt! Wenn ich mich dem Unglück entzogen hätte, hätte ein anderer dummer Junge die Lücke gefüllt.
    LIAO YIWU:
    Und dann?
    WANG LIANHUI:
    Dann war ich müde, bin von der Karre gesprungen, habe mich durch die Menge gedrängt und bin nach Hause. In der Nachbarschaft hat eine zweimal Lianhui gerufen. Also habe ich gebremst und bin mit ihr zu einer abgelegenen Stelle. Sie hat sich in alle Richtungen umgeschaut, aber mich hat sie nicht angesehen. Plötzlich fragt sie, ob ich den Wagen kaputtgemacht hätte. Ich wich aus; doch sie meinte, wenn ich das wirklich gewesen bin, dann müsste ich sofort irgendwo außerhalb untertauchen, bis sich alles beruhigt habe, und dann weitersehen. Ich war ein bisschen nervös, aber ich wich ihr weiter aus, von wegen, wer denn so etwas behauptet?
    Sie sagte, da hätten genug Leute drumherumgestanden.
    Ich sagte, aber Polizei ist keine da gewesen.
    Sie sagte, ob denen denn das Zeichen Polizei in die Stirn graviert ist? Und heute seien eine ganze Menge Agenten in Zivil unterwegs, das Revier von Daxing und auch alle anderen seien ausgeflogen, sogar der Revierleiter hätte sich als alter Bauer verkleidet unter die Menge gemischt.
    Ich war dieser älteren Schwester von Herzen dankbar, ich

Weitere Kostenlose Bücher