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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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sagte, ich würde warten, bis ich meinen Lohn ganz bekommen hätte, dann würde ich ihr ein Geschenk kaufen. Aber sie winkte ab und meinte, sei kein Dummkopf, du holst dir keinen Lohn ab, du machst noch heute Nacht, dass du wegkommst!
    LIAO YIWU:
    Und obwohl Sie Ihnen so einen Wink gegeben hat, sind Sie nicht abgehauen?
    WANG LIANHUI:
    Ich war noch nicht im Knast gewesen, ich wusste nicht, wie schlimm die Diktatur des Proletariats ist. Als ich zu Hause vor der Tür stand, hat mir meine Mutter auch ein Loch in den Bauch gefragt und hat auch gesagt, ich soll mich auf der Stelle verstecken. Aber zum einen war ich ein Leiharbeiter, ich hatte keine Möglichkeiten, zum anderen hatte ich keinerlei gesellschaftliche Erfahrungen, und schließlich war ich noch nie weiter weg gewesen, wo sollte ich mich verstecken? Ich sagte, was geschieht, geschieht; man kann sich vor einem Unheil nicht verstecken, und wenn man sich davor verstecken kann, dann ist es kein Unheil. Und damit habe ich mich ins Bett gelegt, aber ich habe die ganze Nacht Löcher in die Luft gestarrt. Am 4 . Juni tagsüber habe ich tausend Ängste ausgestanden, nach und nach ging im Dorf das Gerücht um, die Leute, die mit dem gepanzerten Fahrzeug etwas zu tun gehabt hatten, sind alle verhaftet worden. Ich beglückwünschte mich dazu, dass ich mich noch gerade rechtzeitig davongemacht hatte, ein bisschen früher; ein bisschen später hatten die Leute an dem Fahrzeug ihre Wut ausgelassen. Haben mit Ziegelsteinen dagegengeschlagen, mit Eisenstangen, sogar mit Gürteln. Ganz zu schweigen von den Unzähligen, die mit der Faust gefuchtelt, ausgespuckt und geflucht haben.
    LIAO YIWU:
    Wurden die alle von der Polizei gefasst?
    WANG LIANHUI:
    Da waren zwei Nachtschwärmer, die wurden alle paar Schritte zu Boden gedrückt; und wer am Polizeirevier vorbeikam, der wurde von den Agenten, die ihm auf den Fersen waren, hineingezerrt. Ein Glück, dass im ganzen Bezirk Daxing nur ein solches Militärfahrzeug lahmgelegt worden ist, wenn es mehr gewesen wären, dann hätten die gar nicht alle in die Amtsstelle Daxing und das Revier hineingepasst.
    LIAO YIWU:
    Wo war denn das demolierte Militärfahrzeug her?
    WANG LIANHUI:
    Aus der Provinz Shanxi, aber nicht die Siebenundzwanzigste, sondern die Achtundreißigste Armee, die Yang Baibing unter sich hat. Eigentlich wollten sie von Osten her in die Stadt, aber sie sind von den Sitzblockaden der Bürger und der Studenten aufgehalten worden; wie es heißt, lagen Dutzende von Menschen auf der Straße, die dem immer weiter herandrängenden Konvoi entgegenschrien: Haut ab, haut ab, haut ab! Wenn ihr euch nicht zurückzieht, dann müsst ihr uns überrollen! Die Soldaten waren nervös und sind, als sie da waren, voll auf die Bremsen gestiegen. Am Ende mussten sie wohl oder übel vorübergehend einen anderen Weg nehmen, sie sind dann von Osten nach Süden und haben einen Bogen geschlagen. Aber wie man so schön sagt, Befehl ist Befehl, um nicht noch einmal in eine Blockade zu geraten, sind sie in größerem Abstand und mit vollem Karacho in die Stadt rein. Wenn die Massen die Militärfahrzeuge bemerken würden, wäre es schon zu spät, selbst wenn sie sich zusammentun und Widerstand leisten wollten.
    LIAO YIWU:
    Wann sind Sie reingekommen?
    WANG LIANHUI:
    Am 12 . Juni. An dem Tag hatte ich schon so ein ungutes Gefühl, mein linkes Auge zuckte, ich war durcheinander und habe es kaum bis Mittag ausgehalten, der Dynamo in der Werkstatt ging kaputt, unser Gruppenleiter ließ uns Überstunden machen, ich sagte, das geht nicht, ich bin heute nicht recht bei der Sache. Und genau in diesem Augenblick steckt unser Parteisekretär den Kopf zur Tür rein und ruft: Wang Lianhui, sehr komisch, eine Reihe von drei Köpfen zogen neben der Tür auf, wie drei große Früchte, wenn sie auch nicht reinkamen. Ich dachte, das war’s, aber ich murmelte noch was von, ich muss mich noch umziehen. Der Parteisekretär sagte, nicht nötig, kommen Sie her. Ich war wie eine hohle Marionette, ganz abwesend, ich zog die schmutzigen Handschuhe aus, spitzte aus der Tür, meine Herren, da standen sechs, sieben Polizisten mit der Waffe im Anschlag, wie eine Wand. Ihr Anführer fragte: Wang Lianhui?
    Ja, antwortete ich.
    Also du bist das! Dann klackten zweimal Handschellen, und ich zappelte im Netz.
    LIAO YIWU:
    Das war bewaffnete Polizei?
    WANG LIANHUI:
    Dem Himmel sei Dank, dass es die von der Amtsstelle Daxing waren! Ich hatte immer noch die Arbeitsklamotten an, ich war

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